Unsere vernetzte Welt verstehen
Widerstände gegen Veränderung: Herausforderungen und Chancen in der digitalen Hochschullehre
In der Hochschullandschaft sind Widerstände gegen Veränderung kein neues Phänomen. Alle, die sich mit Veränderungsprozessen an Hochschulen beschäftigen, stoßen zwangsläufig auf Widerstände – sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene. In der aktuellen digitalen Transformation der Lehre, insbesondere während der COVID-19-Pandemie, haben sich Widerstände auf neue Weise manifestiert. Unsere Untersuchung zeigt, wie sich diese Widerstände entwickeln und wie Hochschulen lernen können, sie besser zu verstehen und zu adressieren.
(Digitale) Veränderung an Hochschulen: Ein komplexes Unterfangen
Veränderungsprozesse an Hochschulen sind berüchtigt für ihre Komplexität und die Vielzahl an kritischen Reaktionen, die sie hervorrufen (Sapir & Oliver, 2017; Bristow, Robinson & Ratle, 2017; Kalfa, Wilkinson & Gollan, 2018). Insbesondere die Digitalisierung der Hochschulbildung, die durch die COVID-19-Pandemie einen beispiellosen Schub erhielt, stellte Hochschulen vor enorme Herausforderungen. Gleichzeitig erlebten Lehrende tiefgreifende Umbrüche in ihrem Arbeitsumfeld und im Selbstverständnis ihrer Lehre (Devkota, 2021; Elsholz et al., 2021).
Diese zwangsläufige und abrupte Umstellung auf digitale Lehrformate während der Pandemie rief eine Vielzahl komplexer Reaktionen hervor: Zu Beginn ließ sich eine Welle der Solidarität und Motivation unter den Lehrenden beobachten (Laufer et al., 2021). Doch schon bald traten Ungleichheiten in Bezug auf digitale Kompetenzen und den Zugang zu notwendigen Ressourcen wie Geräten und stabilen Internetverbindungen zutage (Simamora et al., 2020; Devkota, 2021). Prikäre und unsichere Bedingungen führten zu erhöhten Stressleveln bei den Mitarbeitenden (Jojoa et al., 2021) und einem Gefühl der Überforderung, insbesondere auch durch fehlende Unterstützung von Seiten des Universitätsmanagements (Elsholz et al., 2021). Solche oder ähnliche Situationen führen nicht selten zu verschiedenen Formen des Widerstandes gegenüber der Digitalisierung der Lehre. Was jedoch liegt genau diesen Widerständen gegenüber Veränderung im akademischen System zugrunde und wie lassen sie sich erklären?
Widerstände erkennen und besser verstehen
Widerstände gegen Veränderung sind unvermeidlich. Gleichzeitig hängt der Erfolg von Veränderungsprozessen entscheidend davon ab, dass alle Beteiligten – Führungspersonen, Lehrende, Studierende und Verwaltung – den Wandel mittragen. Ohne diese Zustimmung und Unterstützung ist es unwahrscheinlich, dass Veränderungen nachhaltig und erfolgreich umgesetzt werden können (Cho, Park & Dahlgaard-Park, 2017; Kavanagh & Ashkanasy, 2006).
Weiter sind Widerstände gegen Veränderung vielfältig. Sie reichen von offener Ablehnung bis hin zu subtilen Formen wie Verzögerungstaktiken oder Rückzug (Bovey & Hede, 2001). Ein Beispiel für eine Verzögerungstaktik könnte sein, dass Lehrende immer wieder technische Schulungen oder neue Lehrmethoden hinausschieben, um die Einführung digitaler Tools zu verzögern. Diese Verhaltensweisen resultieren oft aus individuellen Reaktionen auf den Wandel und einem persönlichen Verständnis davon, was die Veränderung bedeutet und wie sie erlebt wird (Piderit, 2000). Besonders in akademischen Kreisen können Widerstände tief verwurzelt sein. Die akademische Freiheit, die Lehrenden eine außergewöhnliche Autonomie gewährt, spielt dabei eine zentrale Rolle. Veränderungen, die von außen initiiert werden, werden oft als Bedrohung dieser Freiheit empfunden und führen daher zu Widerstand. Ebenso sind die spezifischen Organisationsstrukturen sowie die Hochschulkultur bedeutende Faktoren. Universitäten bestehen aus vielen, oft nur lose miteinander verbundenen Einheiten wie Fakultäten, Instituten und Verwaltungseinheiten. Diese dezentralisierte Struktur erschwert es, kohärente und umfassende Veränderungen durchzusetzen, da jede Einheit ihre eigenen Prioritäten und Arbeitsweisen hat.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Widerstände gegen Veränderung entstehen durch ein komplexes Zusammenspiel von individuellen Reaktionen und organisationalen Strukturen. Denn Veränderungen rufen häufig intensive emotionale Reaktionen hervor, die erheblich zur Akzeptanz oder Ablehnung der Veränderung beitragen können. Zusätzlich können organisationale Faktoren wie mangelnde Unterstützung seitens des Universitätsmanagements den Widerstand verstärken.
Einblicke in unsere Forschungsergebnisse
Im Rahmen des OrA-Projekts (Organisationale Adaptivität im deutschen Hochschulkontext), einer Kooperation zwischen dem Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) und dem Forschungscluster CATALPA der FernUniversität in Hagen, haben wir die Anpassungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft von Hochschulen während der COVID-19-Krise untersucht. In acht Fallstudien und insgesamt 86 Interviews mit unterschiedlichen Hochschul-Mitarbeitenden in Deutschland und dem europäischen Ausland wurden verschiedene Arten von Widerständen identifiziert, die von direkter Ablehnung neuer Technologien bis hin zur Minimierung des Engagements reichen. Unsere Forschung zeigt unter anderem, dass Widerstände gegenüber der digitalen Transformation in der Lehre oft von individuellen emotionalen Reaktionen geprägt sind, aber auch, dass organisationale Praktiken diesen Widerständen entgegenwirken können.
Individuelle Reaktionen auf Veränderung
In unseren Daten lassen sich Widerstände und zurückhaltendes Verhalten hauptsächlich auf drei emotionale Reaktionen zurückführen: Überforderung, Angst und ideologische Konflikte. Überforderung bezieht sich hierbei besonders auf den enormen Arbeitsaufwand, den besonders Lehrende durch die plötzliche Umstellung auf digitale Lehre erfahren haben. Angst bezieht sich genauer auf zwei Formen der Angst: Einmal ging es um die Angst vor unbekannter Technologie und die damit verbundene Sorge, versagen zu können. Zum anderen bestand die Angst um den eigenen Arbeitsplatz und damit einhergehende Besorgnis, an Relevanz zu verlieren und letztlich durch den technologischen Fortschritt ersetzt zu werden. Die letzte individuelle Reaktion auf Veränderung, die Widerständen zugrunde liegt, sind ideologische Konflikte. Sie sind oft mit traditionellen Selbstbildern der Organisation verknüpft, wie bspw. dem Verständnis, eine Campus-Universität zu sein, die schon immer ausschließlich vor Ort lehrt und die Digitalisierung daher nicht zu brauchen. Andere Narrative beschreiben die digitale Lehre als eine Gefahr für die Qualität der Hochschullehre oder argumentieren, dass die Studierenden die analoge Lehre auf dem Campus erwarten.
Widerständen durch organisationale Praktiken begegnen
Wie wir erneut festgestellt haben, sind Widerstände ein unvermeidlicher Bestandteil jedes Veränderungsprozesses. Doch es gibt effektive Strategien, die Organisationen anwenden können, um ihnen zu begegnen. Die Daten unserer Studie heben dafür zwei zentrale Ansätze hervor: Anerkennung und Anreize sowie die Förderung kritischer Austauschformate. Die Würdigung der zusätzlichen Arbeit, die mit der digitalen Transformation verbunden ist, kann die Motivation der Lehrenden deutlich steigern. Während sich viele Befragten eine entsprechende Anerkennung ihrer Arbeit seitens der Hochschule wünschten, wurde auch von solchen Institutionen berichtet, die bereits Belohnungssysteme implementiert hatten, digitales Engagement anerkennen und entsprechende Anreize bieten. Dazu gehörten unter anderem die Möglichkeit, sich für Auszeichnungen zu bewerben, die digitale Lehrleistungen würdigen, finanzielle Anreize wie die Finanzierung von studentischen Hilfskräften oder neuer Technologie sowie umfangreiche didaktische und beratende Fortbildungsmöglichkeiten. Diese Hochschulen berichteten von einer hohen Akzeptanz gegenüber der Einbindung neuer Bildungstechnologien. Ebenso wichtig wie Anerkennung zeigte sich die Schaffung von Räumen für kritische Diskussionen über digitale Lehrmethoden. Diese Diskussionen tragen dazu bei, Ängste abzubauen und ideologische Konflikte offen anzusprechen, wodurch eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem digitalen Wandel ermöglicht wird. Solche förderlichen Umgebungen, in denen Lehrende zur Auseinandersetzung mit EdTech ermutigt wurden, waren oft mit flachen Hierarchien verbunden und drückten sich in der Investition von verankerten Austauschformaten in der Organisationsstrukturen aus.
Widerstände als Chance: Den Wandel konstruktiv gestalten
Widerstände werden oft lediglich als Hindernisse betrachtet, die es zu überwinden gilt. Allerdings können sie auch wertvolle Einblicke in tiefer liegende emotionale und ideologische Konflikte bieten. Widerstände können problematische Bereiche sichtbar machen, mehr Stimmen in die Diskussion einbinden und einen konstruktiven Dialog ermöglichen, wenn man die negative Konnotation des Begriffs hinterfragt (Thomas & Hardy, 2011). Die Forschung des HIIG und CATALPA zeigt, dass das Erkennen und Verstehen von Widerständen entscheidend ist, um ihnen wirksam zu begegnen. Durch ein besseres Verständnis und eine konstruktive Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Formen von Widerständen können Hochschulen den Wandel effektiver gestalten und die Qualität sowie Akzeptanz ihrer digitalen Lehrangebote verbessern.
Referenzen
Bovey, W. H., & Hede, A. (2001). Resistance to organisational change: the role of defence mechanisms. Journal of managerial psychology.
Bristow, A., Robinson, S., & Ratle, O. (2017). Being an early-career CMS academic in the context of insecurity and ‘excellence’: The dialectics of resistance and compliance. Organization Studies, 38(9), 1185-1207. https://doi.org/10.1177/0170840616685361.
Cho, I., Park, H., & Dahlgaard-Park, S. M. (2017). The impacts of organisational justice and psychological resilience on employee commitment to change in an M&A context. Total Quality Management & Business Excellence, 28(9-10), 989-1002.
Devkota, Kamal Raj. (2021). Inequalities reinforced through online and distance education in the age of COVID-19: The case of higher education in Nepal. International Review of Education, 67(1), 145–165.
Elsholz, U., Fecher, B., Deacon, B., Schäfer, L. O., & Laufer, M. (2021). Implikationen der Covid-19-Pandemie für digitale Lehre: Organisierte Freiheit als Veränderungsparadigma. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 40, 472–486. https://doi.org/10.21240/mpaed/40/2021.11.29.X
Jojoa, M., Lazaro, E., Garcia-Zapirain, B., Gonzalez, M. J., & Urizar, E. (2021). The impact of COVID 19 on university staff and students from Iberoamerica: Online learning and teaching experience. International Journal of Environmental Research and Public Health, 18(11), 5820.
Kalfa, S., Wilkinson, A., & Gollan, P. J. (2018). The academic game: compliance and resistance in universities. Work, Employment and Society, 32(2), 274-291. https://doi.org/10.1177/0950017017695043.
Kavanagh, M. H., & Ashkanasy, N. M. (2006). The impact of leadership and change management strategy on organizational culture and individual acceptance of change during a merger. British journal of management, 17(S1), S81-S103.
Laufer, M., Leiser, A., Deacon, B., Perrin de Brichambaut, P., Fecher, B., Kobsoda, C., & Hesse, F. (2021). Digital higher education: A divider or bridge builder? Leadership perspectives on EdTech in a COVID-19 reality. International Journal of Educational Technology in Higher Education, 18(51). DOI: https://doi.org/10.1186/s41239‐021‐00287‐6.
Piderit, S. K. (2000). Rethinking Resistance and Recognizing Ambivalence: A Multidimensional View of Attitudes toward an Organizational Change. The Academy of Management Review, 25(4), 783–794. https://doi.org/10.2307/259206
Sapir, A., & Oliver, A. (2017). Loose coupling, conflict, and resistance: the case of IPR policy conflict in an Israeli university. Higher Education, 73(5), 709-724. https://doi.org/10.1007/s10734-016-9992-0.
Simamora, R., Fretes, D., Purba, E., & Pasaribu, D. (2020). Practices, Challenges, and Prospects of Online Learning during Covid-19 Pandemic in Higher Education: Lecturer Perspectives. Studies in Learning and Teaching, 1, 185–208. https://doi.org/10.46627/silet.v1i3.45
Thomas, R., & Hardy, C. (2011). Reframing resistance to organizational change. Scandinavian Journal of Management, 27(3), 322–331. https://doi.org/10.1016/j.scaman.2011.05.004]
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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