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Illustration einer Frau, die online nach Jobs sucht symbolisiert den wachsenden Einsatz von generativer KI im Recruiting und die damit verbundenen Herausforderungen für Authentizität und menschliche Wertschätzung im Bewerbungsprozess.
15 Mai 2025| doi: 10.5281/zenodo.15424362

Wer hat diesen Bot eingestellt? Zur Ambivalenz generativer KI im Recruiting d

Während generative Künstliche Intelligenz in immer mehr Bereiche des Arbeitslebens vordringt, bleiben auch Bewerbungsverfahren davon ihr nicht unberührt. Im Recruiting ist der Einsatz von Technologie seit langem mit der Hoffnung verbunden, mehr Freiräume für zwischenmenschliche Interaktion zu schaffen. Es gibt jedoch auch Hinweise, die in eine andere Richtung deuten. Denn je stärker sich sowohl Recruiter*innen als auch Bewerbende auf Unterstützung durch KI verlassen, desto mehr droht etwas Wichtiges verloren zu gehen: Der menschliche Faktor, auf dem erfolgreiche Einstellungsprozesse häufig beruhen. Dieser Beitrag beleuchtet, wie generative KI Bewerbungsverfahren verändert und weshalb wir nicht nur fragen sollten, was wir optimieren können, sondern auch warum wir es tun.

„Als ich diesen Leitfaden für mein […] Interview […] vorbereitet habe […], hatte ich […] einen super kompetenzbasierten Leitfaden, mit Verhaltensankern und allem Möglichen. Und ich hätte fast vergessen zu fragen: ‘Was ist dir eigentlich wichtig bei einem neuen Arbeitgeber?’ […] Weil die KI mir diese Fragen nicht generiert hat.”
– aus einem Interview mit einer Recruiting-Managerin, 2025

In vielen Bereichen der Arbeitswelt experimentieren Menschen derzeit damit, Werkzeuge wie ChatGPT in ihre alltäglichen Routinen und Arbeitsabläufe zu integrieren (Dell’Acqua et al., 2023; Retkowsky et al., 2024). Das Ziel ist häufig simpel: Persönliche Effektivität steigern und Zeit sparen. Kaum ein*e Bewerber*in verfasst gerne lange Motivationsschreiben für Dutzende Bewerbungen. Genauso wenig prüfen Recruiter*innen gerne ebenso viele Anschreiben. Hier verspricht generative KI beiden Seiten Unterstützung. Das kann jedoch zu tiefgreifenden Veränderungen führen in einem Prozess, der eigentlich dazu dienen soll, herauszufinden, ob Kandidat*in und Unternehmen gut zueinander passen⸺eine bedeutungsvolle Aufgabe für beide Seiten (Hunkenschroer & Kriebitz, 2022). Gleichzeitig wirft der Einsatz von KI neue Fragen auf: Möchten Personalverantwortliche generische, KI-generierte Bewerbungsschreiben lesen? Und möchten Bewerbende, dass ihre Unterlagen mittels KI vorsortiert werden? Die Antwort auf beide Fragen mag “nein” lauten, doch je mehr sich generative KI in solchen Bewerbungsverfahren etabliert, desto drängender stellt sich auch eine andere Frage: Was genau wollen wir eigentlich optimieren? Und zu welchem Preis?

Zunehmender Einsatz von generativer KI im Recruiting

Um diese Entwicklungen zu verstehen, lohnt es sich, unterschiedliche Arten von KI im Personalmanagement zu unterscheiden. Obwohl die Grenzen fließend sind, wird in der Forschung häufig zwischen diskriminativer und generativer KI unterschieden. Diskriminative KI nimmt Vorhersagen und Klassifikationen vor, während generative KI neue Inhalte erzeugt (Feuerriegel et al., 2023; Jebara, 2004). Im Personalwesen dient diskriminative KI dazu, fundiertere Personalentscheidungen zu treffen (z. B. durch Vorhersage der Passung von Kandidat*in und Stelle), während generative KI dabei hilft, effektiver personalrelevante Inhalte zu erstellen (z. B. Texte oder Bilder für Stellenanzeigen) (Andrieux et al., 2024). Generative KI unterscheidet sich qualitativ von diskriminativer KI, u.a. weil sie sich vielseitiger einsetzen lässt. Durch Tools wie ChatGPT ist sie zudem einer breiten Masse an Nutzenden zugänglich geworden (Krakowski, 2025). Dadurch schafft sie im Personalwesen⸺und insbesondere auch im Recruiting⸺zahlreiche neue Anwendungsmöglichkeiten (Budhwar et al., 2023; Chowdhury et al., 2024).

Der Reiz der Automatisierung

Die Einführung neuer Technologien ist häufig mit großen Erwartungen und Versprechen verbunden, die nicht immer eingehalten werden können (Garvey, 2018). Im Arbeitskontext beziehen sich diese Hoffnungen oft darauf, repetitive Tätigkeiten zu automatisieren, um Kapazitäten für sinnstiftendere Aufgaben freizusetzen. Im Personalmanagement geht es häufig insbesondere darum, administrative Arbeit zu reduzieren, um so Zeit für zwischenmenschliche oder strategische Tätigkeiten zu schaffen. So sollen Recruiter*innen z. B. durch automatisiertes Vorsortieren von Lebensläufen mehr Zeit für persönliche Gespräche mit Bewerbenden aufwenden können. In Interviews, die ich im Rahmen unseres Projekts Generative KI in der Arbeitswelt geführt habe, haben Personalpraktiker*innen berichtet, dass sie generative KI u.a. einsetzen, um Interviewfragen und Aufgabenstellungen für Arbeitsproben zu entwickeln, Stellenanzeigen zielgruppenspezifischer zu gestalten, SEO-relevante Keywords zu identifizieren, Bilder für Anzeigen zu generieren oder Absagen zu formulieren. Die Hoffnung, so mehr Zeit für den persönlichen Austausch mit Bewerbenden und Beschäftigten zu gewinnen, war ein durchgängiges Thema in diesen Interviews. Jedoch halten diese Hoffnungen dem Arbeitsalltag nicht immer stand. Denn KI-Tools können zwischenmenschliche Interaktionen auf subtile, aber bedeutsame Weise beeinträchtigen.

Verborgene Kosten von Effizienz

Wie das einleitende Zitat der Recruiting-Managerin andeutet, birgt der Einsatz generativer KI im Recruiting auch Risiken. Zwar half ihr das KI-System, einen nützlichen Interviewleitfaden zu entwickeln, dabei hätte sie jedoch beinahe vergessen, die Kandidat*in zu fragen: Was ist dir eigentlich wichtig bei einem neuen Arbeitgeber? Diese Frage ist wichtig, um Wertschätzung zu vermitteln und gegenseitige Erwartungen auszuloten. Neben ihrem Effizienzversprechen kann generative KI also auch dazu führen, dass wichtige Aspekte des Auswahlprozesses verloren gehen oder die Kommunikation oberflächlicher wird. Studien belegen zudem, dass häufige Nutzung von KI kritisches Denken untergraben kann (Gerlich, 2025). Wie Nyberg und Kolleg*innen (2025) betonen, funktioniert die Überprüfung einfacher KI-generierter Ergebnisse (z. B. eines Absageschreibens) relativ problemlos. Genau solche Aufgaben waren allerdings auch schon vor der Einführung von generativer KI stark automatisiert (z. B. durch Vorlagen oder Serienbriefe). Insgesamt erfordert die Überprüfung solcher Ergebnisse Fachwissen, während generative KI die Qualität solchen Wissens in Organisationen gefährden kann (Retkowsky et al., 2024). Forschende warnen, dass Beschäftigte oder Bewerbende den Einsatz generativer KI in Personalprozessen als Ausdruck mangelnder Wertschätzung empfinden können, was die wahrgenommene “interaktionale Gerechtigkeit” beeinträchtigen könnte (interactional justice bezieht sich auf das Gefühl, mit Würde und Respekt behandelt worden zu sein) (Narayanan et al., 2024; Nyberg et al., 2025). Und selbst wenn Zeit eingespart wird, deuten unsere Interviews an, dass unklar bleibt, wofür die gewonnene Zeit dann tatsächlich verwendet wird.

Ein Wettrennen um den Einsatz von generativer KI im Bewerbungsprozess?

Auch Bewerbende greifen zunehmend auf generative KI zurück, und zwar oft auf eine Weise, die es erschwert, ihre Passung mit dem Unternehmen und ihre tatsächlichen Kompetenzen einzuschätzen. Mithilfe frei zugänglicher Tools wie ChatGPT lassen sich optimierte Lebensläufe und Anschreiben erstellen, Antworten auf typische Interviewfragen vorbereiten und mittels KI-Telepromptern lassen sich in Videointerviews sogar ideale Antworten in Echtzeit vorschlagen (Kwok, 2025). Dadurch wird es für Recruiter*innen erheblich schwieriger, die Eignung von Bewerbenden einzuschätzen. Einige Unternehmen verzichten daher mittlerweile ganz auf Anschreiben oder setzen verstärkt auf persönliche Interviews. Es kursieren zudem Berichte darüber, dass Bewerbende „AI Note Takers“ zu Infoveranstaltungen potenzieller Arbeitgeber schicken (Ellis, 2024) oder KI einsetzen, um sich automatisiert auf Hunderte Stellen gleichzeitig zu bewerben (Demopoulos, 2024). Das Ergebnis kann ein „Bot-gegen-Bot-Wettrennen“ sein, bei dem Bewerbende KI nutzen, um Hunderte automatisierter Bewerbungen zu verschicken, während Unternehmen KI nutzen, um Tausende von ähnlich klingenden Bewerbungen zu filtern (Ellis, 2024). Im schlimmsten Fall bevorzugen automatisierte Screening-Systeme sogar KI-generierte Bewerbungen. Diese zunehmende Automatisierung auf beiden Seiten wirkt absurd und wirft die Frage auf, ob wir uns auf Kosten von Authentizität versuchen, gegenseitig in unserer KI-Nutzung zu übertrumpfen.

Das Menschliche in der Personalarbeit neu denken

Ist generative KI also ein „guter Bot“ oder „schlechter Bot” im Recruiting? Wie bei den meisten neuen Technologien lautet die Antwort: Es kommt darauf an. Nicht auf das Tool selbst, sondern auf die Art und Weise, wie wir es nutzen. Der Einfluss generativer KI hängt davon ab, welche Art von Personalarbeit wir anstreben und ob wir die Nutzung von KI mit dieser Vision vereinbaren können. Während Werkzeuge wie ChatGPT durchaus zur Effizienzsteigerung beitragen können, etwa in frühen Phasen eines Rekrutierungprozesses (z. B. bei der Optimierung von Stellenanzeigen), bergen sie auch die Gefahr, dass Bewerbende durch unpersönliche oder regelrecht „roboterhafte“ Interaktionen abgeschreckt werden (z. B. in Interviews).

Damit schließt sich der Kreis zu der Frage: Wer hat diesen Bot eigentlich eingestellt? In gewisser Weise wir alle⸺Organisationen, Recruiter*innen und Bewerbende⸺oft getrieben von dem Wunsch nach Schnelligkeit, Effizienz und Konkurrenzfähigkeit. Dabei übersehen wir jedoch möglicherweise, welche Kosten mit der Auslagerung zutiefst menschlicher Aufgaben an Maschinen verbunden sind. Die eigentliche Herausforderung lautet daher nicht, ob wir generative KI einsetzen, sondern wie, mit welcher Absicht und mit welchem Maß an Sorgfalt. Wie HR-Führungskräfte betonen, sollte die Leitfrage demnach nicht nur lauten, was wir mit generativer KI technisch möglich, sondern was davon auch sinnvoll und wünschenswert ist (Nyberg et al., 2025). Nur so können wir sicherstellen, dass wir nicht bloß im Sinne von Effizienz optimieren, sondern für Arbeitsumgebungen, in denen wir auch gerne arbeiten möchten.

Referenzen

Andrieux, P., Johnson, R. D., Sarabadani, J., & Van Slyke, C. (2024). Ethical considerations of generative AI-enabled human resource management. Organizational Dynamics, 53(1), 1–9. https://doi.org/10.1016/j.orgdyn.2024.101032

Budhwar, P. et al. (2023). Human resource management in the age of generative artificial intelligence: Perspectives and research directions on ChatGPT. Human Resource Management Journal, 33, 606–659. https://doi.org/10.1111/1748-8583.12524

Chowdhury, S., Budhwar, P., & Wood, G. (2024). Generative Artificial Intelligence in Business: Towards a Strategic Human Resource Management Framework. British Journal of Management, 35(4), 1680–1691. https://doi.org/10.1111/1467-8551.12824

Dell’Acqua, F., McFowland, E., Mollick, E. R., Lifshitz-Assaf, H., Kellogg, K., Rajendran, S., Krayer, L., Candelon, F., & Lakhani, K. R. (2023). Navigating the Jagged Technological Frontier: Field Experimental Evidence of the Effects of AI on Knowledge Worker Productivity and Quality (No. Working Paper 24-013). Harvard Business School. https://www.ssrn.com/abstract=4573321

Demopoulos, A. (2024). The job applicants shut out by AI: ‘The interviewer sounded like Siri’. The Guardian. https://www.theguardian.com/technology/2024/mar/06/ai-interviews-job-applications 

Ellis, L. (2024). ‘You’re Fighting AI With AI’: Bots Are Breaking the Hiring Process. The Wall Street Journal. https://www.wsj.com/lifestyle/careers/ai-job-application-685f29f7 

Feuerriegel, S., Hartmann, J., Janiesch, C., & Zschech, P. (2024). Generative AI. Business & Information Systems Engineering, 66(1), 111–126. https://doi.org/10.1007/s12599-023-00834-7

Garvey, C. (2018). Broken promises and empty threats: The evolution of AI in the USA, 1956-1996. Technology’s Stories, 6(1). https://doi.org/10.15763/jou.ts.2018.03.16.02

Gerlich, M. (2025). AI tools in society: Impacts on cognitive offloading and the future of critical thinking. Societies, 15(1), 1-28. https://doi.org/10.3390/soc15010006

Hunkenschroer, A. L., & Kriebitz, A. (2022). Is AI recruiting (un)ethical? A human rights perspective on the use of AI for hiring. AI and Ethics, 3, 199–213. https://doi.org/10.1007/s43681-022-00166-4

Jebara, T. (2004). Generative Versus Discriminative Learning. In T. Jebara, Machine Learning (S. 17–60). Springer US. https://doi.org/10.1007/978-1-4419-9011-2_2

Krakowski, S. (2025). Human-AI agency in the age of generative AI. Information and Organization, 35(1), 1–25. https://doi.org/10.1016/j.infoandorg.2025.100560

Kwok, N. (2025). When Candidates Use Generative AI for the Interview. MIT Sloan Management Review. https://sloanreview.mit.edu/article/when-candidates-use-generative-ai-for-the-interview/

Narayanan, D., Nagpal, M., McGuire, J., Schweitzer, S., & De Cremer, D. (2024). Fairness perceptions of artificial intelligence: A review and path forward. International Journal of Human–Computer Interaction, 40(1), 4–23. https://doi.org/10.1080/10447318.2023.2210890

Nyberg, A. J., Schleicher, D. J., Bell, B. S., Boon, C., Cappelli, P., Collings, D. G., Molle, J. E. D., Feuerriegel, S., & Gerhart, B. (2025). A Brave New World of Human Resources Research: Navigating Perils and Identifying Grand Challenges of the GenAI Revolution. Journal of Management, 00(00), p. 1-42.

Retkowsky, J., Hafermalz, E., & Huysman, M. (2024). Managing a ChatGPT-empowered workforce: Understanding its affordances and side effects. Business Horizons, 67(5), 511–523. https://doi.org/10.1016/j.bushor.2024.04.009

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Sonja Köhne

Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Innovation, Entrepreneurship & Gesellschaft

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