Unsere vernetzte Welt verstehen
Von Cash und Katzenvideos
Als sich Ende Juni im kalifornischen Anaheim bereits zum fünften Mal die Web-Video-Szene zum jährlich stattfindenden Branchentreff VidCon traf, zeigte sich einerseits auf der inhaltlichen Ebene, dass hier längst nicht mehr amateurhafte Katzenvideos und Fail-Compilations den Ton angeben und andererseits, dass sich hier immer mehr funktionierende Geschäftsmodelle herausbilden, die niemand mehr vernachlässigen kann. So finden sich neben aufwändig produzierten Webserien wie Video Game High School, Nachrichten-Kanälen wie z.B. Le Floid und Comedy-Shows unzählige Fashion-, Beauty- und Food-Channels. Dabei wird deutlich, dass hier nicht nur Nischen-Interessen bedient, sondern Inhalte für ein breites Interessen-Spektrum produziert werden. Ein Blick auf die Zahlen macht die schiere Größe der bekanntesten Online-Video-Plattform Youtube deutlich. Hier werden laut eigener Darstellung jeden Monat sechs Milliarden Stunden Videos angesehen, jede Minute 100 Stunden Videomaterial hochgeladen und das alles auf einem Portal, das noch keine zehn Jahre alt ist. Vor kurzem hat das meist geklickte Video die zwei-Milliarden-Views-Marke erreicht.
Um die Distributionsplattform Youtube herum hat sich mittlerweile ein Ökosystem gebildet, dessen ökonomische Relevanz sich unter anderem an dem spektakulären Verkauf des Multi-Channel-Networks Maker an Disney für 500 Millionen Dollar zeigt. Auch in Deutschland haben sich diverse Multi-Channel-Networks (MCN) mit den unterschiedlichsten Ausrichtungen gebildet. Neben den beiden Start-Up-Gründungen Mediakraft, das gerade in einer Finanzierungsrunde 16,5 Millionen Euro einsammelte, und Divimove sind Endemol Beyond als Tochter der internationalen Film- und TV-Produktionsfirma Endemol und Studio 71 als Teil der Fernsehsender ProSiebenSat1 entstanden. Diese MCNs haben jeweils mehrere hundert Betreiber eines Youtube-Channels unter Vertrag, stellen diesen Unterstützung in der konkreten Produktion der Videos zur Verfügung, beraten in rechtlichen Aspekten und akquirieren mit ihrer Expertise, die nicht jeder einzelne Channel-Betreiber aufbringen kann, Kooperationen mit der werbetreibenden Wirtschaft. Mittlerweile sind es nur noch wenige Channel-Betreiber, die unabhängig von einem MCN erfolgreich sein können, so z.B. der Slingshot-Channel.
Diese Entwicklungen geschehen längst nicht unbeobachtet und etablierte Fernsehsender bemühen sich ein Stück vom Kuchen abzubekommen. So hat der Musiksender VIVA kürzlich Sami Slimani, einen der bekanntesten deutschen Blogger, als Moderator verpflichtet, um von dessen Bekanntheit profitieren zu können.
Doch was genau ist der Unterschied zwischen etabliertem Fernsehen und neuen Videoplattformen im Internet? Auf den ersten Blick sind beides Distributionskanäle für Bewegtbildinhalte, auf den zweiten Blick sind die Unterschiede massiv, auf den dritten Blick relativiert sich Einiges wieder. Youtube ist genau wie jeder Fernsehsender nichts ohne seine Inhalte. Beide sind letztendlich nur technische Medien, die mit beliebigen Inhalten gefüllt werden können. Auf den zweiten Blick zeigt sich eine Fülle von Unterschieden. Zum einen bietet die Online-Plattform sehr detaillierte Analyse-Methoden, die vor allem der Kommunikation zwischen Produzenten und Konsumenten der Inhalte dienen, zum anderen stellt sie aber auch präzise Werkzeuge für die im Umfeld der Videos Werbung schaltenden Unternehmen zur Verfügung. Hier scheint ein Traum der werbetreibenden Industrie wahr zu werden, die bis dahin auf die Quotenmessungen angewiesen war, um die Reichweite und Präzision ihrer Werbe-Platzierungen zu ermitteln, denn auf Youtube lassen sich Kampagnen präzise anhand der Inhalte, Nutzerdemografien und vielen weiteren Kriterien schalten. Dieser Aspekt ist für den Mutterkonzern Google natürlich eine Strategie, die Werbe-Etats weg vom klassischen Fernsehen hin auf seine Plattform zu lenken. Die technischen Möglichkeiten, die sich bei der Distribution im Netz ergeben, dienen aber auch den Zuschauern als Feedbackkanal. Sie bieten weitaus bessere und umfangreichere Kommunikationsmöglichkeiten als die gute alte Zuschauerpost an die Redaktionen der Sender. Dass diese enge Bindung zwischen Nutzern und den Produzenten mittlerweile nicht mehr nur ein technischer Zusatz ist, sondern für die Produktion der Inhalte eine große Bedeutung hat, zeigt auch, dass Produktionsweisen angepasst werden müssen, um erfolgreich zu sein. Watchtime ist das Stichwort und stellt die Grundlage für die Monetarisierung der Inhalte dar. Für die Produktion bedeutet dies, dass Inhalte so konzipiert werden müssen, dass sie die Zuschauer möglichst zu einer Interaktion auffordern und dass ein kontinuierlicher Dialog mit den Nutzer gewährleistet werden sollte.
Diese Möglichkeiten scheinen auf den ersten Blick fundamental neue Entwicklungen darzustellen, aber natürlich haben sich früher die Redakteure in den Sendern auch Gedanken gemacht, wie ihre Inhalte beim Publikum ankommen und auf Zuschauerpost geantwortet, nur eben etwas langsamer, weniger umfangreich und intuitiver.
Die große Frage, die sich nun stellt, beschäftigt sich mit dem Verhältnis von etablierten Auswertungskanälen für Bewegtbildinhalte zu neuen Distributionsformen im Internet und deren künftige Entwicklung. Handelt es sich, wie es Clayton Christensen in seinem vielzitierten Buch “Innovator’s Dilemma” anhand vieler Beispiele aus anderen Industrien beschreibt, um eine disruptive Innovation? Mit diesem Begriff beschreibt Christensen technologische Innovationen, die etablierte Technologien einerseits in ihrer Qualität bzw. Funktionalität übertreffen und diese andererseits im Preis unterbieten, was dann zu einer Verdrängung der etablierten Technologien führt. Der Begriff ist mittlerweile so verbreitet, dass ihn sich fast jedes Start-Up-Unternehmen auf die Fahnen schreibt und ihn die Historikerin Jill Lepore kritisch als ein Leitthema der Gegenwart bezeichnet.
Vor diesem Hintergrund steht den etablierten Distributionsformen eine schwierige Zukunft bevor. Dass diese jedoch vermutlich nicht komplett verdrängt werden lässt sich anhand einer Gesetzmäßigkeit argumentieren, die besagt, dass “kein gesellschaftlich etabliertes Instrument des Informations- und Gedankenaustauschs von anderen Instrumenten, die im Laufe der Zeit hinzutreten, vollkommen ersetzt oder verdrängt wird.”[1] Auch wenn diese Idee vom Beginn des 20. Jahrhunderts stammt und so viele der Entwicklungen noch nicht erahnen konnte, zeigt sich doch, dass auch der Videotext noch existiert, auch wenn er aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen scheint.
Festzuhalten bleibt: auch die Bewegtbildindustrie befindet sich in schwierigen Zeiten, deren zukünftige Entwicklung schwer abzusehen ist. Dass Youtube auch nicht alle selbst gesteckten Ziele erreichen kann, zeigen diese Zahlen.
1. http://de.wikipedia.org/wiki/Rieplsches_Gesetz
2. Image: flickr, Marina del Castell, Mother
Dieser Beitrag ist Teil der regelmäßig erscheinenden Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institutes für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.
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