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Man sieht eine*n Lieferant*in eines Online-Lieferdienst für Essen auf einem Motorroller. Das Bild steht sinnbildlich für die Arbeitenden in der Gig Economy in Kenia. You see a delivery person from an online food delivery service on a scooter. The image is emblematic of the workers in the gig economy in Kenya.
01 Februar 2023

Wege in eine sozial-gerechte Gig Economy in Kenia: Stakeholder Engagement und Regulierungsprozesse

Digitale Plattformen verändern die Arbeitswelt grundlegend. Per Mausklick können wir online in der sogenannten „Gig Economy” Lebensmittel oder Dienstleistungen direkt an unsere Haustür bestellen. Während die Plattformökonomie immense Möglichkeiten für ein flexibles und lukratives Unternehmertum eröffnet, bleiben dabei die prekären Lebensumstände von Arbeitnehmenden und Dienstleistern oft unerwähnt. Insbesondere Arbeitnehmende aus wirtschaftlichen Entwicklungsländern sind häufig repetitiven Tätigkeiten, einer geringen Arbeitsplatzsicherheit und hohen Ausbeutungsrisiken ausgesetzt. Im Rahmen des SET-Projekts haben unsere Kolleg*innen Kutoma J. Wakunuma und Tom Kwanya die Lebensumstände von kenianischen Gig Workern untersucht, um die Chancen und Risiken der Gig Economy im „Globalen Süden” zu beleuchten.

Kenias Gig Economy – eine komfortable und kosteneffektive Arbeit?

Um in Kenia ein Taxi zu bekommen, musste man vor etwa fünf Jahren entweder am Straßenrand stehen und einen Wagen heranwinken oder sich im Stadtzentrum auf die Suche nach einem Taxistand machen. Auch das Liefern von Lebensmitteln war nur denjenigen Hotelgästen vorbehalten, die einen Zimmerservice anfordern konnten. Alle anderen mussten in einem Restaurant Essen zum Mitnehmen bestellen. Heute sind nahezu alle dieser grundlegenden Dienstleistungen auf Knopfdruck über digitale Plattformen verfügbar. Hinter diesen Plattformen stehen Tausende von Menschen, die die Dienstleistungen für Kund*innen preiswert erbringen. Diese Arbeit in der sogenannten „Gig Economy” bringt nicht nur Dienstleistungen in nächste Nähe der Kund*innen, sondern eröffnet auch enorme Möglichkeiten für ein flexibles und lukratives Unternehmertum. 

1 Millionen Gig Worker arbeiten in Kenias Plattform-Ökonomie 

Ein Bericht des Mercy Corps aus dem Jahr 2019 schätzt die Zahl der Online Gig Worker in Kenia auf 36.500. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass das Gig Economy-Modell in Kenia eine realistische Schätzung der Anzahl der Online-Gig Worker erschwert. So sind beispielsweise die meisten Online-Gig-Accounts im Besitz von Einzelpersonen, die wiederum mehrere andere Gig Worker für die Bearbeitung der Aufträge beschäftigen. Ebenso verbergen einige Online-Gig Worker aus (steuer-)rechtlichen Gründen bewusst ihre Identität. Daher schätzen befragte Experten, dass in Kenia tatsächlich rund 1 Million Gig Worker tätig sind. Die Befragten, darunter politische Entscheidungsträger*innen, die Zivilgesellschaft, Investor*innen und Plattformbetreibende betonten auch, dass die Zahl der Online-Gig Worker im Land exponentiell zunimmt. Der Verband der kenianischen Arbeitgebenden (Federation of Kenya Employers) geht davon aus, dass in naher Zukunft mehr Arbeitnehmer*innen in Kenia in vielfältigen Online- und Offline-Gig Arbeitsverhältnissen tätig sein werden, als in formellen, konventionellen Beschäftigungen.

Kenias Gig Economy – eine prekäre und ausbeuterische Arbeit?

Die Mehrheit der Online-Arbeitnehmenden fühlt sich von der Gig Economy angezogen, weil sie ihnen eine Unabhängigkeit bietet, die sie in einem formellen Arbeitsverhältnis nicht hätten. So können sie beispielsweise ihre Auftraggeber*innen frei wählen, die Arbeitszeiten selbst bestimmen und von Zuhause aus arbeiten. Trotz dieser Vorteile sehen sich Online-Gig Worker mit vielen Herausforderungen konfrontiert, beispielsweise: 

  • Der harte Wettbewerb um Online-Jobs.
  • Das Fehlen eines stabilen Einkommens, das sie von Finanzdienstleistungen wie Krediten oder Versicherungen ausschließt.
  • Hohe Geschäftskosten, da Gig Worker oft die Kosten für ihre eigene Ausrüstung, den Transport und andere laufende Kosten tragen müssen, die sonst in der Regel von Arbeitgebenden übernommen werden. 
  • Mangelnde Arbeitsplatzsicherheit, da ihre Plattformkonten bei Kundenbeschwerden ohne Vorankündigung gesperrt oder deaktiviert werden können.
  • Das Fehlen eines Sicherheitsnetzes wie Gesundheitsversorgung und Renten. 

Den meisten dieser Herausforderungen könnte mit stärkerer Regulierung begegnet werden, um eine sozial gerechtere Gig Work zu ermöglichen. Zwar gibt es in Kenia Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer*innen, diese sind jedoch auf den formellen Beschäftigungssektor zugeschnitten. Die International Labour Organization räumt ein, dass die Regulierung informeller Arbeit für die meisten Länder eine Herausforderung darstellt. Hier sind die bestehenden Gesetze oft unvollständig, zu vage, veraltet oder enthalten keine klaren Definitionen der verschiedenen Akteure und Unternehmen. Dadurch werden Schlupflöcher für die Ausbeutung von Arbeitnehmenden geschaffen. Das Fehlen eines angemessenen Rechtsrahmens für informelle Online-Arbeiter führt zu hohen Compliance-Kosten, da zahlreiche Genehmigungen erforderlich sind. Außerdem sind die Arbeitnehmenden der Gefahr von Belästigungen ausgesetzt sowie unklaren Einstellungsbedingungen, fristlosen Kündigungen und ungerechten Arbeitsbedingungen.

Einblicke in die Lebensumstände von Gig Workern in Kenia

Empirische Erkenntnisse einer aktuellen Studie des Alexander von Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Digital Transformation Center Kenya der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) unter 314 Online-Gig Workern offenbaren deutliche Schwächen bei den Regulierungsmechanismen der Gig Economy in Kenia.

Die Ergebnisse zeigen, dass für den Großteil der Gig Worker in Kenia, 282 (89,8%), Gig Work die primäre Einkommensquelle darstellt, während nur 32 (10,2%) der Befragten sie als zusätzliche Einkommensquelle nutzen. 

Asnwers on consistency of gig workes’ income: It is inconsistent from week to week 38.5%. It is neither steady nor inconsistent from week to week 27.4%. It is steady from week to week	43.1 %.

Die Mehrheit der Gig Worker verdiente jedoch niedrige Löhne, die zwischen 10.000 und 30.000 kenianischen Schilling monatlich (80-240 EUR) lagen. Außerdem gaben die meisten der Gig Worker an, dass ihr Einkommen unbeständig war und wöchentlich schwankte. 

176 of the respondents indicated that the Government of Kenya is best placed to regulate gig platforms. With the support of the other stakeholders including donors and investors (91 of 314), civil society (10 of 314)organisations, and the platform owners or employers (98 of314)

Obwohl die meisten (81,5%) der Befragten angaben, dass sie einen Vertrag mit den Plattformen haben, auf denen sie arbeiten, hatten 18,5% der Befragten keinen Vertrag. Des Weiteren kannten zwar die Mehrheit (93,0%) der befragten Gig Worker die genauen Vertragsbedingungen ihres Gigs, 7,0% von ihnen kannten diese jedoch nicht. Darüber hinaus waren 13,0% der Befragten nicht über die Richtlinien der von ihnen genutzten Plattformen informiert. Bemerkenswert ist, dass die meisten (60,8%) der Befragten nicht wussten, welche Regulierungen und Gesetze für die Steuerung und Verwaltung von Gig Plattformen in Kenia gelten. 

 Importantly, most 191 of 314 of the respondents were not aware of any regulations used to manage gig platforms in Kenya

In Bezug auf gesetzliche Regelungen gaben die meisten der Befragten an (56,0%), dass die kenianische Regierung, mit Unterstützung anderer Stakeholder wie Investoren, Organisationen der Zivilgesellschaft und den Plattformbesitzern oder Arbeitgebenden, am besten in der Lage sei, Gig Plattformen zu regulieren. Die Ergebnisse der Studie zeigten auch, dass die meisten (50,3%) der Gig Worker der Meinung waren, dass die genannten Akteure die Gig Economy derzeit nicht im Sinne der Arbeitnehmenden unterstützen. Das Wissen über Bestehen von Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden war unter den Online-Gig Workern generell gering. 

Wie Gerechtigkeit und Fairness in der kenianischen Gig Economy gewährleistet werden können

Diese Ergebnisse zeigen, dass die kenianische Gig Economy von Plattformbetreiber*innen kontrolliert wird, die ein profitorientiertes Geschäftsmodell verfolgen. Von diesem Modell profitieren vor allem die Arbeitgebenden. So werden Uber-Fahrer*innen beispielsweise dauerhaft mittels GPS-Technologie überwacht und getrackt, die Fahrer*innen selbst können ihre Arbeitgebenden jedoch andersrum nicht verfolgen. Zudem diktiert die Plattform die Arbeitskonditionen der Arbeitnehmer*innen. Gig-Plattformen ermöglichen außerdem die Bewertung der Arbeitnehmenden durch die Kund*innen, anstelle einer direkten Betreuung durch den Arbeitgebenden. Darüber hinaus können die meisten Arbeitgeber*innen, die Gig Worker beschäftigen, die Löhne selbst festlegen. Diese werden von Faktoren wie der gesamten Anzahl der Gig Worker auf der Plattform, der hohen Arbeitslosenquote und bevorzugten Tätigkeiten beeinflusst. Die Regulierung der Plattformen ist also notwendig, um Gerechtigkeit und das Wohlergehen der Online-Arbeitnehmenden zu gewährleisten. Die Plattformbetreiber*innen haben aus eigenem Antrieb ein großes Interesse an der Regulierung der Arbeitnehmenden. Um die Bedürfnisse der Online-Gig Worker mit den Geschäftsinteressen der Plattformbetreiber*innen in Einklang zu bringen, sollten die anderen involvierten Stakeholder die Führungsrolle bei der Förderung eines Regulierungssystems übernehmen. Die kenianische Regierung sollte Gig Work als vollwertige Beschäftigung und Gig Worker als Arbeitnehmer*innen anerkennen, deren Rechte gesetzlich geschützt werden müssen. Ebenso sollte die kenianische Regierung in Zusammenarbeit mit den anderen Stakeholdern die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für Beschäftigungsbedingungen, Arbeitnehmer*innenrechte und Sozialleistungen neu prüfen, überarbeiten oder anpassen, um die Interessen der wachsenden Zahl von Online-Gig Workern im Land hierin zu berücksichtigen. Gig Worker in Kenia sollten hinsichtlich ihrer Rechte als Arbeitnehmer*innen sensibilisiert und ermutigt werden, Gewerkschaften beizutreten, die für ihre Rechte eintreten können. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften können in dieser Hinsicht die Initiative ergreifen. 

Schritte hin zu einer sozial gerechten Gig Economy in Kenia 

Die kenianische Regierung sollte außerdem Strategien zur Erweiterung und Förderung von Gig Work als alternative Einkommensquelle für Beschäftigte und Arbeitslose entwickeln und umsetzen. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften sollten erschwingliche oder kostenlose Rechtsberatung oder -vertretung für Gig Worker anbieten, deren Rechte verletzt werden, die aber nicht in der Lage sind, den Rechtsweg eigenständig zu nutzen. Die kenianische Justiz sollte in ihrer Abteilung für Arbeit und Beschäftigung eine eigene Abteilung für Gig Worker einrichten. Dadurch würde die Fähigkeit der Justiz gestärkt, bei auftretenden Konflikten kompetent und zügig zu handeln. Programme zum Aufbau von Kapazitäten im Bereich der Gig Work sollten ihren Horizont erweitern und Mentoring-, Begleitung- und Beschleunigungsmechanismen einführen, um die im Gig Sektor benötigten praktischen Fähigkeiten zu entwickeln und zu stärken.

Zur Studie

Die in diesem Blog vorgestellten Ergebnisse basieren auf einer Studie, die die Autor*innen im Rahmen ihrer Forschung im Projekt Sustainability, Entrepreneurship and Global Digital Transformation (SET) in Kenia im Jahr 2022 durchgeführt haben. Die Studie wird im Frühjahr 2023 veröffentlicht.

Das SET-Projekt wird vom HIIG in Kooperation mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführt. In Kenia und mehreren anderen Ländern unterstützt das HIIG die Digital Transformation Centers (DTCs) des BMZ als wissenschaftliche Partnerinstitution und führt Austausch- und Forschungsformate in den Partnerländern durch.


Über die Autor*innen: 

Kutoma J. Wakunuma (PhD), ist Associate Professor an der Research and Teaching School of Computer Science and Informatics an der De Montfort University, Leicester, Vereinigtes Königreich.

Tom Kwanya (PhD), ist Professor an der Knowledge Management School of Information and Communication Studies der Technical University of Kenya Nairobi, Kenia.

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

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