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E-lending
22 November 2016

One copy one user – EU-Recht erlaubt E-Lending

Der Europäische Gerichtshof hat klassische Bücher und E-Books beim Verleih durch Bibliotheken gleichgestellt. Dem E-Book-Verleih stehen somit keine prinzipiellen Hürden mehr entgegen. Offen bleibt aber, wie weit die neue Freiheit reicht.

Für das Urheberrecht werfen digitale Technologien immer wieder neue Probleme auf. Welche Regeln gelten im digitalen Zeitalter unverändert weiter und welche passen nicht mehr? Anpassungsschwierigkeiten zeigen sich auch bei E-Books. Während man gedruckte Bücher problemlos in einer Bibliothek ausleihen kann, war die Rechtslage für E-Books bislang unklar.

In seinem Urteil vom 10 November 2016 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nunmehr entschieden, dass die Regeln für das Ausleihen von Büchern grundsätzlich auch für E-Books greifen (Rechtssache C-174/15). Allerdings: Zum sogenannten Erschöpfungsgrundsatz für digitale Güter äußert sich der EuGH nicht näher. Damit bleibt offen, wann und wie weit Rechteinhaber im Allgemeinen darüber verfügen können, welche Wege ein digitales Exemplar nimmt. Dennoch spricht vieles dafür, dass auch die Regelung zum Verleih im deutschen Urheberrecht nun für E-Books gilt.

E-Book-Verleih nach dem „One copy, one user“-Modell

Die niederländische Vereinigung Öffentlicher Bibliotheken (VOB) wollte ihren Nutzern ermöglichen, Bücher digital auszuleihen. Nach ihrer “One copy, one user”-Regel werden dabei den Bibliotheksnutzern E-Books zum einmaligen Download zur Verfügung gestellt. Nach Ablauf der Leihfrist ist die Kopie für den Ausleiher nicht mehr nutzbar. Es gibt im niederländischen Recht zwar eine Ausnahmeregelung (Schranke), die Bibliotheken das Ausleihen von Büchern erlaubt und eine Pauschalvergütung vorsieht. Unklar war jedoch, ob diese Regel auch für E-Books greift.

Bislang haben Bibliotheken für den Verleih von E-Books mit Verlagen daher Lizenzverträge abgeschlossen. Der Verleih auf Lizenzbasis gestaltete sich teilweise als schwierig und führte zu einem nur lückenhaften Angebot von E-Books in europäischen Bibliotheken.

Die VOB erhob Klage, um feststellen zu lassen, dass der elektronische Verleih (E-Lending) nach bestehendem Recht erlaubt ist. Für die Antwort auf diese Frage kommt es auf die Auslegung europäischer Vorgaben an: Die europäische Richtlinie zum Vermiet- und Verleihrecht sieht vor, dass Urheber grundsätzlich das ausschließliche Recht haben, den Verleih zu verbieten oder zu erlauben (Artikel 3 lit. a). Mitgliedstaaten können für öffentliche Bibliotheken aber Ausnahmen vom ausschließlichen Recht der Urheber vorsehen (Artikel 6). Das niederländische Gericht wandte sich daher an den EuGH, der die Vorgaben im Hinblick auf E-Books auslegen sollte.

Streitpunkte beim elektronischen Verleih

Im Gegensatz zu gedruckten Büchern ist das E-Book kein körperlicher Gegenstand. Das macht seine rechtliche Einordnung uneindeutig: Umstritten war, ob die Regelungen zum Verleihrecht (inklusive der Ausnahmeregelung für Bibliotheken) für solche unkörperlichen, digitalen Inhalte gelten. Immerhin kann ein gedrucktes Buch einfach durch Übergabe verliehen werden, bei der elektronischen Leihe muss es zugleich kopiert werden, um dem Nutzer ein digitales Exemplar zur Verfügung zu stellen. Damit ist das Vervielfältigungsrecht betroffen. Die Klärung dieser Frage war primäres Anliegen des niederländischen Gerichts.

Der Streit betrifft am Rande auch die Frage, ob der sogenannte Erschöpfungsgrundsatz auch für digitale Werke gilt. Die niederländische Ausnahmeregelung für den Verleih durch Bibliotheken ist nämlich an eine weitere Bedingung geknüpft: Das zu verleihende Werk muss zuvor mit dem Einverständnis des Rechteinhabers in Verkehr gebracht worden sein. Das bedeutet, dass sich das Verbreitungsrecht “erschöpft” haben muss, damit ein Verleih möglich ist. Das Verbreitungsrecht endet somit, nachdem ein Original oder Vervielfältigungsstücke eines Werkes mit dem Willen des Urhebers in Verkehr gebracht wurde.

Ein Urheber oder Rechteinhaber kann daher nicht beeinflussen, ob und wie sein Werkexemplar nach dem ersten Verkauf weiterverbreitet wird. Auch die Regelungen zum Verleihen im deutschen Urheberrecht (Paragraf 27 Absatz 2 Urheberrechtsgesetz) sehen als Voraussetzung vor, dass eine Erschöpfung des Verbreitungsrechts eingetreten ist.

Umstritten ist bislang, ob eine Erschöpfung auch bei Downloads, also unkörperlichen Kopien eintritt. Diese Frage ist zum einen für die Anwendbarkeit der nationalen Regeln zum Verleih relevant, zum anderen für die Frage des Weiterverkaufs digitaler Güter. Anders als bei Software hat die deutsche Rechtsprechung einen Weiterverkauf von Hörbüchern und E-Books bislang abgelehnt. Kritiker der Erschöpfung für digitale Güter argumentieren, dass eine Verbreitung stets ein körperliches Exemplar voraussetze. Wenn ein Werk nur ins Netz gestellt und heruntergeladen werde, liege darin keine Verbreitungshandlung, sondern eine öffentliche Zugänglichmachung und Vervielfältigung. Damit komme auch eine Erschöpfung nicht in Betracht. Der EuGH hat diese Frage bislang noch nicht geklärt.

Europäisches Recht steht E-Book-Verleih nicht entgegen

Nach Ansicht des EuGH gilt das Verleihrecht (und eine entsprechende Ausnahmeregelung für Bibliotheken) auch für unkörperliche Gegenstände wie E-Books. Der Wortlaut der Richtlinie schließe dieses Verständnis nicht aus. Aus internationalen Übereinkommen ergebe sich zwar, dass das in der gleichen Richtlinie geregelte Vermietrecht nur für körperliche Gegenstände greife. Das Verleihrecht sei jedoch ein selbständiges Recht. Der EuGH betont bemerkenswerterweise – wie schon der Generalanwalt – dass sich das Urheberrecht an neue technische Entwicklungen anpassen müsse. Es gebe daher keinen Grund, die Schrankenregelung grundsätzlich nicht auch auf E-Books anzuwenden.

Der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen auch darauf hingewiesen, dass Urhebern so eine angemessene Vergütung sichergestellt würde (Randnummern 33 ff.). Würden dagegen individuelle Lizenzregelungen zwischen Verlagen und Bibliotheken abgeschlossen, sei das unsicherer. Auf diese Argumentation scheint sich der Gerichtshof erneut zu beziehen: Er stellt fest, dass die Erstreckung des Verleihrechts und der Schranke auf digitale Inhalte dem Grundsatz diene, ein hohes Schutzniveau für Urheber zu gewährleisten.

Digitales Ausleihen fällt somit unter das Verleihrecht, auch wenn dabei das Werk vervielfältigt werden muss. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass der Ausleihprozess für E-Books mit dem traditionellen Ausleihen von Büchern vergleichbar ist. Die Beschränkungen der “One copy, one user”-Regelung – zeitliche Begrenzung, Zugriff nur für jeweils einen Nutzer – machten die beiden Vorgänge vergleichbar.

Weitere nationale Bedingungen beim Verleih möglich

Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass die Schranke für das Verleihrecht eine Balance zwischen den Interessen der Urheber und kulturpolitischen Zielsetzungen anstrebe. Urheber müssten daher jedenfalls eine angemessene Vergütung erhalten, wenn Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht eine Schranke für den Verleih durch Bibliotheken vorsehen. E-Books dürfen zudem von Bibliotheken nur verliehen werden, wenn die Kopie aus einer legalen Quelle stammt.

Um die Rechte der Urheber darüber hinausgehend zu schützen, dürften Mitgliedstaaten die Schranke außerdem an weitere Voraussetzungen knüpfen. Die oben genannte Einschränkung des niederländischen Rechts – das heißt die Kopplung der Schranke an die Erschöpfung des Verbreitungsrechts – sei mit europäischem Recht vereinbar.

Erschöpfung auch bei digitaler Übertragung?

Zur Erschöpfung bei E-Books bezog der EuGH keine klare Stellung. Das Verleihrecht sei unabhängig vom Verbreitungsrecht und seiner Erschöpfung (Randnummer 56) und das Verleihrecht selbst unterliege auch nicht der Erschöpfung (Randnummer 58).

Etwas unklar bleibt dabei, ob (beziehungsweise wie) eine Erschöpfung bei rein online übermittelten digitalen Werken außer Software eintreten kann. Wenn E-Books stets nur über das Ins-Netz-stellen und den Download in den Verkehr gebracht werden, liegt darin möglicherweise gar keine Verbreitungshandlung. Dann könnte sich das Verbreitungsrecht aber auch nicht erschöpfen. In diesem Fall würde die Koppelung der Schranke zum Verleih an die Erschöpfung des Verbreitungsrechts eine Bedingung sein, die E-Books nie erfüllen würden.

Es scheint unwahrscheinlich, dass der EuGH das implizieren wollte. Er hebt ja gerade die “Bedeutung des öffentlichen Verleihens von E-Books” hervor (Randnummer 51). Wenn der EuGH feststellt, dass die Koppelung der Schranke an die Erschöpfung des Verbreitungsrechts für eine “digitale Kopie eines Buches” möglich ist (Randnummer 64f.), legt dies nahe, dass Erschöpfung auch für rein online übermittelte, unkörperliche Gegenstände eintreten kann.

Besonders deutlich wird das in der Aussage des Urteils, nach der es eine zulässige Bedingung des Verleihs sein kann, “dass die von der öffentlichen Bibliothek zur Verfügung gestellte digitale Kopie eines Buches durch einen Erstverkauf oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung dieser Kopie in der Union durch den Inhaber des Rechts zur Verbreitung an die Öffentlichkeit oder mit dessen Zustimmung (…) in den Verkehr gebracht worden ist.” (Randnummer 65)

E-Book-Verleih auch in Deutschland erlaubt?

Auch wenn der Gerichtshof somit nicht ausdrücklich sagt, dass die digitale Übertragung beim Ersterwerb auch eine Verbreitungshandlung darstellt, könnte das Urteil dieses Ergebnis implizieren. Damit wäre die erste Voraussetzung des Erschöpfungsgrundsatzes erfüllt: Die Kopie ist auch bei digitaler Übertragung mit der Zustimmung des Urhebers in den Verkehr gelangt. Insofern scheint es wahrscheinlich, dass sowohl die niederländische als auch die deutsche Schranke nun auch für E-Books greifen.

Alle Zweifel hat der Gerichtshof allerdings nicht ausgeräumt. Der Deutsche Bibliotheksverbandgeht etwa davon aus, dass die deutsche Regelung zum Verleih (Paragraf 27 Absatz 2 Urheberrechtsgesetz) erst noch geändert werden müsse, um den E-Book-Verleih jenseits spezieller Lizenzen in Deutschland zu erlauben.

Weiterhin offen ist jedenfalls, ob der Erschöpfungsgrundsatz bei digitalen Werkstücken einen Weiterverkauf ermöglicht. Dies erfordert nämlich eine weitere Vervielfältigung, die ohne Zustimmung des Urhebers erfolgt. Der Streit, der um den Handel mit “gebrauchten” digitalen Gütern entbrannt ist, wird so nun weiterhin geführt werden.

Die Entscheidung bringt für Bibliotheken somit einerseits viele spannende neue Möglichkeiten. Nutzer können E-Books künftig möglicherweise nicht mehr nur an elektronischen Leseplätzen innerhalb der Bibliothek lesen, sondern auch zuhause als E-Book ausleihen. Die damit verwandten Fragen der digitalen Erschöpfung hat der Gerichtshof jedoch weitestgehend ausgeklammert. Sie dürften auch in Zukunft für viel Zündstoff sorgen.

*Dieser Beitrag erschien zuerst auf irights.info

Dieser Beitrag ist Teil der regelmäßig erscheinenden Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.

Photo: flickr.de CC BY 2.0

Henrike Maier, Dr.

Former associated Researcher: Innovation & Entrepreneurship

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