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Neues Machtzentrum in Kenia
01 Juli 2016

Neues Machtzentrum in Kenia

Wie die Verbreitung von IKT zu neuen Big Playern in der Regierung führt und dabei interessante Governancefragen aufwirft.

Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ermöglichen nicht nur (Zivil-) Gesellschaften  verstärkt Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen, sondern sie wirbeln auch das „Innenleben” von Staats- und Regierungssystemen gehörig durcheinander. In einem Interview für das HIIG schildert der neue Minister für IKT in Kenia, Joseph Mucheru, seine Sicht auf diese Entwicklungen.

Im Zuge von Governancediskussionen – speziell auch im Zusammenhang mit der Rolle von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) – wird heute häufig auf einen  Aspekt verwiesen: Machtverschiebungen. Vereinfacht gesagt gehen Argumentationen in diesem Bereich zumeist von einem imaginär-omnipotenten Nationalstaat in der Vergangenheit aus, dessen Monopol zur Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen abgelöst wird durch neue gesellschaftliche Formen nicht-staatlicher Selbstorganisation. IKT spielen hier  vor allem deshalb eine Rolle, weil sie die Verbreitung von Information sowie Diskussion, Meinungsaustausch und Entscheidungsfindung zwischen Individuen sowie sozialen Gruppen maßgeblichen vereinfachen, beschleunigen oder diese überhaupt erst ermöglichen.

Wie aber wirken sich IKT auf die Binnenstruktur  – oder um das “böse” Wort der Machtstruktur von Regierungs- und Verwaltungssystemen zu verwenden – selbst aus? Und wie werden diese Veränderungen von den Akteuren selbst wahrgenommen?

Im Rahmen meiner Forschung zum Einfluss von IKT auf die Handlungsfähigkeit staatlicher Institutionen in Räumen begrenzter Staatlichkeit traf ich den zuständigen Minister in Kenia, Joseph Mucheru, zum Interview. Mucheru kommt aus der Privatwirtschaft (Google Sub-Saharan Africa Ambassador & Energy Access and Investment Regional Lead – Africa) und hat die  die Leitung des Ministry of Information and Communication Technologies (MoICT) vor kurzem übernommen.

In Kenia sind, wie in vielen anderen sich entwickelnden Staaten innerhalb und außerhalb von Afrika, weitreichende Erwartungen und Hoffnungen mit dem Einsatz von IKT verbunden. Wirtschaftlich verknüpfen sich diese meist mit der Schaffung eines eigenen, Beschäftigung generierenden IKT Sektors (Stichwort Business Process Outsourcing). Zugleich sollen IKT aber auch eine grundlegende Modernisierung und Verbesserung nationaler Regierungssysteme (Stichwort Good Governance) ermöglichen. Der Auftrag zur Umsetzung dieser Erwartungen liegt dabei fast immer bei speziellen IKT Ministerien und den jeweiligen Behörden, die dazu mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet werden.

Im Fall von Kenia bedeutet dies, dass dem MoICT und seinen Behörden eine zentrale Rolle beim Ausbau aller IKT Infrastrukturen zukommt. So fällt etwa die Vergabe aller Lizenzen im IKT Sektor z.B. für Internet Service Providers (ISP) in den Kompetenzbereich dieser  Behörden, sie muss  bei allen IKT Projekten anderer Ministerien beteiligt werden und ist  für die Umsetzung aller e-government Projekte verantwortlich, die in Kenya’s IKT Masterplan aufgelistet sind. Eine zentrale Rolle bei der Ausübung dieses Einflusses spielen dabei die Communcations Authority of Kenya (CAK) sowie die Kenya ICT Authority (KICTA), die als Sektorregulierer  (CAK) sowie Implementierungsbehörde (KICTA) agieren.

Wer mit Mucheru spricht, trifft auf einen Person, die – im Unterschied zu vielen seiner Ministerkollegen – sehr unprätentiös  auftritt. Der Minister betont die notwendige Vermittlungs- und Überzeugungsarbeit im Hinblick auf seine Regierungskollegen, aber ist sich zugleich seiner Machtstellung vollkommen bewusst:  “So we coordinate together. Initially it wasn’t easily accepted but over time they have understood why it is necessary to have it centralized“. Im Hinblick auf die Rolle von IKT für die Modernisierung des Regierungsystems sieht Mucheru den wichtigsten Aspekt in der Automatisierung – und der Akzeptanz dieser Automatisierung  – von Prozessen im öffentlichen Sektor. Mucheru dazu: “E-government means automation first of some of the government processes. Achievements are actually multiple, first one is the government accepting to use technology. Before that was seen as taboo, the use of fax machine had been banned; use of email had been banned. Now those are standards.”.

Einen zentralen Einfluss übt das MoICT zudem auf die in Kenia stattfindende Reform des öffentlichen Finanzwesens durch den Einsatz digitaler Ressource Management Systeme aus, was soweit geht, dass es mit seinen eigenen Leuten in allen daran beteiligten Ministerien vertreten ist, wie der Minister ausführt: “We are leading that project. We work with all the different ministries to actually make that happen, like providing the infrastructure, the data centers, the backbone that is needed working with the applications so that they can coordinate together. We have teams involved in every ministry to do that.”.

Gleiches gilt für das aktuelle Prestigeprojekt der Kenianischen Regierung, die im Zuge eines sog. Digital Literacy Programms alle 23.000 Grundschulen mit Elektrizität, Internet und  Laptops ausstatten  möchte (an dieser Stellehabe ich schon einmal ausführlicher darüber berichtet). Das MoICT fungiert dort als “coordinator” und die ihm unterstellte KICTA als “implementer”.

Diese Auflistung ließe sich gerade auch im Bereich öffentlicher Dienstleistungen (Stichwort digitale-one-stop-approaches) oder bei der Digitalisierung von Verwaltungsdaten weiter fortsetzen.

Grundsätzlich und über den Kontext von Kenia hinausgehend, lässt sich speziell ein Grund ausmachen, warum innerhalb von Regierungen – gerade auch in Entwicklungsregionen – mit einem massiven Einflussgewinn von IKT Ministerien und Behörden zu rechnen ist oder dieser bereits stattgefunden hat:

In fast allen Ländern des globalen Südens sind zentrale Programme und Strategien für Modernisierung und Entwicklung direkt oder indirekt mit der Anwendung von IKT verknüpft. Die Expertise zur Umsetzung dieser Programme konzentriert sich in hohem Maße in die entsprechenden IKT Ministerien/ Behörden, was diesen weitreichenden Einfluss sowie Handlungsfreiheit sichert.

Zugleich kommt, gerade bei forschreitender Digitalisierung und Automatisierung von Verwaltungsprozessen, kein öffentlicher Akteur in seiner Arbeit an den besteheden IKT Ministerien/ Behörden vorbei, was diesen zugleich weitreichende Einblicke in die performance oder eben auch nicht-performance ihrer Kollegen ermöglicht.

IKT besitzen damit nicht nur das Potential, das Machtverhältnis zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren neu zu ordnen, sondern auch – quasi im Schatten dieser Entwicklungen –  neue Machtkonstellationen und -Verschiebungen innerhalb von Staats- und Verwaltungssystemen zu bewirken. Das Auftreten dieser neuen Machtzentren intensiv zu beobachten und zu analysieren, wird dazu beitragen, diese Auswirkungen von IKT für das “Innenleben” von governance by government besser zu verstehen.

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Rüdiger Schwarz

Ehem. Assoziierter Forscher: Globaler Konstitutionalismus und das Internet

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