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14 April 2020| doi: 10.5281/zenodo.3751133

Mit Wissen durch die Krise: Potenziale digitaler Weiterbildung im Mittelstand

Kurzarbeit und schlechte Auftragslage: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie beschäftigen den Mittelstand. Gleichzeitig gelingt es angesichts der aktuellen Lage, in beeindruckender Geschwindigkeit Prozesse digital umzustellen. Gepaart mit der richtigen Weiterbildungsstrategie liegt in diesem Umdenken langfristig eine große Chance für KMU. 


Die Ausbreitung des Coronavirus stellt viele mittelständische Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Während Ausmaß und Folgen für die jeweiligen Unternehmen noch schwer abschätzbar sind, zeigt die aktuelle Lage jedoch auch: Gut ausgebildete Digitalkompetenzen in der Belegschaft und eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur helfen, diese außergewöhnliche Situation zu meistern. Hier zeigten in den vergangenen Wochen auch mittelständische Unternehmen ein schnelles Umdenken und Umstellen bestehender Arbeitsprozesse, um den Betrieb aufrechterhalten zu können.

In diesem kurzfristigen Umdenken kann langfristig eine große Chance liegen. Und zwar dann, wenn digitale Prozesse nicht nur als ein notwendiges Übel in der akuten Krisensituation gewertet werden, sondern als eine nachhaltige und effiziente Alternative zur bisherigen Arbeitsweise. Dies setzt neben einem aktuellen Stand der digitalen Kompetenzen von MitarbeiterInnen auch eine Auseinandersetzung mit geeigneten digitalen Lernformaten voraus. Im Rahmen des Projekts _Gemeinsam digital beschäftigen wir uns mit der Lernkultur mittelständischer Unternehmen und der Entwicklung bedarfsgerechter Weiterbildungskonzepte. Hierzu wurden von August bis Dezember 2019 Interviews mit 20 GesprächspartnerInnen aus kleinen und mittleren Unternehmen, ExpertInnen aus Lern- und Digitalberatung und führenden Großunternehmen in der Weiterbildung geführt.

In der Krisensituation an morgen denken

“Führungsaufgabe ist nicht, den Urlaubszettel zu unterschreiben oder die Krankmeldung entgegen zu nehmen, sondern auch vorausschauend zu überlegen, wo die Potenziale meiner MitarbeiterInnen liegen.”

Personalleitung eines mittelständischen Softwareentwicklers

Prozesse, die in einigen mittelständischen Betrieben noch vor wenigen Monaten undenkbar erschienen, wurden gewissermaßen über Nacht implementiert. Plötzlich arbeitet eine Vielzahl der MitarbeiterInnen im Homeoffice und lernt den Umgang mit digitalen Kollaborationswerkzeugen im Schnelldurchlauf. Wichtige Gründe, eine umfassende und vorausschauende Weiterbildungsstrategie in KMU zu implementieren, sind neben dem Erhalt der eigenen Wettbewerbsfähigkeit auch die Befähigung von MitarbeiterInnen, um langfristig mit den Anforderungen der Digitalisierung und sich wandelnden Tätigkeitsprofilen Schritt zu halten. Dabei gilt es für Unternehmen, gezielt individuelle Potenziale zu identifizieren und langfristig zu entwickeln, statt gelegentliche, punktuelle Maßnahmen durchzuführen. 

Unsere Ergebnisse zeigen jedoch auch: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Sind erlernte Fähigkeiten nicht im betrieblichen Alltag anwendbar, können sie bei MitarbeiterInnen zu Frustration führen. Zentral ist daher immer, die Weiterbildungsstrategie in die betriebliche Gesamtstrategie einzubetten. Zudem erwies sich, dass ein frühzeitiges Einbeziehen der MitarbeiterInnen in den Weiterbildungs-Prozess Frustration vorbeugen und einen Transfer des Erlernten in die tägliche Arbeit begünstigen kann.

Weiterbildung im Homeoffice

Alle Meetings, Seminare und Workshops für die nächsten Wochen wurden abgesagt? Neben klassischen Präsenzschulungen stehen inzwischen eine Vielzahl digitaler Formate zur Verfügung, die sich bequem und ortsunabhängig aus dem Homeoffice durchführen lassen ‒ sowohl in Echtzeit in virtuellen Klassenräumen als auch in zeitunabhängigen webbasierten Trainings. Dank unterstützenden Hilfsmitteln wie Whiteboards, Chats und Quizzes muss auch auf interaktive Elemente nicht verzichtet werden. 

Digitale Weiterbildungsformate bieten Vorteile, die sich auch nach überstandener Pandemie lohnen: Reisekosten entfallen und sogenanntes Mikrolernen ermöglicht ein Lernen in mehreren kurzen Einheiten, sodass MitarbeiterInnen nicht lange Zeiträume vom Tagesgeschäft entbunden werden müssen. Unsere Interviews zeigten zudem, dass heterogene Belegschaften und Aufgabenstellungen in KMU nur wenige interne Überschneidungen für gemeinsame inhaltliche Schulungen bieten. Auch hier können digitale Angebote punkten: Durch breit gefächerte Online-Angebote kann aus diversen Themen und Anforderungsstufen entsprechend der individuellen Kenntnisstände und thematischen Bedarfe ausgewählt werden.

Gänzlich auf Präsenzunterricht verzichten möchte aber auch zukünftig niemand: Laut unseren Interviews ist das bevorzugte Format im Mittelstand Blended Learning. Die Mischung aus Online- und Präsenzanteilen bietet einen niedrigschwelligen Einstieg und kann helfen, Unsicherheiten zu überwinden und Akzeptanz für digitales Lernen zu schaffen.

Der Weg zur unternehmenseigenen Weiterbildungsstrategie

“Ein planmäßiges Vorgehen was Mitarbeiterschulungen betrifft, fehlt ein bisschen. Wir machen das eher so, wie es halt kommt.“

Vorstand eines mittelständischen Medizintechnikunternehmens

Fazit unserer Interviews: KMU betrachten mangelndes Wissen zwar als große Hürde bei der Digitalisierung, verzichten aus Kosten- und Zeitgründen jedoch oftmals auf strukturierte und umfassende Weiterbildungsmaßnahmen. Insbesondere im digitalen Lernen stecken ungenutzte Potenziale. Wie also gelingt der Weg zu einem Weiterbildungskonzept, das zu den Rahmenbedingungen im eigenen Unternehmen passt? Hierzu zeichnen sich in unseren Ergebnissen drei Phasen ab: Voraussetzung, Orientierung und Gestaltung. 

Zu Beginn steht eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Führungs- und Lernkultur. Wichtig ist in dieser ersten Phase des “Lernen lernens”, durch die Abstimmung von Weiterbildungsmaßnahmen und langfristigen Unternehmenszielen eine strategische Kohärenz zu erreichen. In der Orientierungsphase erweist es sich für KMU als ressourcensparend und hilfreich, sich zu bestehenden Infrastrukturen und Angeboten von Netzwerken wie Branchenverbänden oder Kompetenzzentren zu informieren. Auch die in vielen KMU gelebte Praxis, externe Weiterbildungsangebote bedarfsgerecht hinzuzukaufen statt intern zu erstellen, wird in den Interviews aufgrund der begrenzten Ressourcenverfügbarkeit als sinnvoll eingestuft. Bei der Ausgestaltung der Weiterbildungsmaßnahmen liegt insbesondere im projektbezogenen Lernen oder “Learning-on-the-Job” großes Potenzial für KMU: Ein enger Bezug zum Arbeitsumfeld des Lernenden verspricht besonders hohe Wirksamkeit.

Mehrwert durch bedarfsgerechte Angebote

Nicht zuletzt gilt: Innovative digitale Weiterbildungsangebote bestehen in Fülle, es zählt jedoch, diese auf die Bedürfnisse mittelständischer Unternehmen zuzuschneiden. So zeichnen sich in unseren Interviews bereits drei modellhafte KMU-Typen ab, die je eine individuelle Lernkultur aufweisen und einer passgenauen Weiterbildungsstrategie bedürfen. Diese gilt es nun in enger Zusammenarbeit mit teilnehmenden KMU weiter zu erforschen.


tl;dr

Umfassende Weiterbildungsstrategien unterstützen mittelständische Unternehmen dabei, ihre MitarbeiterInnen langfristig auf die Anforderungen der Digitalisierung und sich wandelnder Tätigkeitsprofile vorzubereiten. Digitale Formate ermöglichen dabei effiziente, individualisierte und kostengünstige Weiterqualifizierung. Aufgrund ihrer besonderen Lernbedarfe, benötigen KMU hierfür maßgeschneiderte Angebote und Konzepte.


Unser Angebot für Unternehmen: Werden Sie aktiv!

Unser Team von _Gemeinsam digital entwickelt ein kostenloses Online-Tool, das mittelständische Unternehmen dabei unterstützt, ein individuelles Weiterbildungskonzept zu entwerfen und im eigenen Unternehmen umzusetzen. Sie möchten das Tool mit Ihrer Perspektive aktiv mitgestalten, interessieren sich für den vollständigen Bericht unserer Interviewergebnisse oder möchten informiert werden, sobald das Tool kostenlos verfügbar ist? Melden Sie sich gerne unter gemeinsam-digital@hiig.de. Weitere Informationen zum Angebot finden Sie unter: gemeinsam-digital.de.

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Sonja Köhne

Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Innovation, Entrepreneurship & Gesellschaft

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