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21 April 2016

„Majestätsbeleidigung“: Anlass für eine Normenkontrolle?

Die Bundesregierung hat das vom türkischen Staatspräsidenten Erdogan beantragte Strafverfahren nach § 103 Strafgesetzbuch (StGB) gegen Böhmermann genehmigt – vorgeblich um den Weg frei für ein rechtsstaatliches Verfahren zu machen (siehe die Stellungnahmen bei der Presseschau auf Welt.de). Eine Vorverurteilung liegt in dieser Genehmigung laut Kanzlerin Merkel nicht. Fragwürdig ist ihre Entscheidung aber dennoch.

Es mag sein, dass eine solche Vorverurteilung zwar nicht auf tatbestandlicher Ebene vorliegt (auch wenn hierfür die Feststellung der Kanzlerin spricht, dass Böhmermanns Gedicht „bewusst verletzend“ war). Wenn sie die Strafverfolgung genehmigt, dann liegt dem allerdings die Wertung zu Grunde, dass die Beleidung ausländischer Staatsorgane schwerer wiegen kann als die normaler Bürger. Insofern kann man in der Genehmigung des Strafverfahrens nach § 103 StGB zumindest auf wertender Ebene durchaus eine Vorverurteilung sehen. Denn mit der Genehmigung wendete die Bundesregierung den Paragrafen an und machte sich damit die in ihm enthaltene Wertung zu eigen.

Schaut man sich den Inhalt dieser Vorverurteilung näher an, erscheinen die Beweggründe der Bundesregierung sehr zweifelhaft. Denn § 103 StGB schützt Staatsoberhäupter mit höherem Strafmaß vor Beleidigungen als normale Bürger. Ist eine solche Norm überhaupt verfassungsgemäß? Dies lässt sich bezweifeln (siehe zum Beispiel der Beitrag von Prof. Fricke auf Fokus.de).

Vor diesem Hintergrund hätte es durchaus nahegelegen, wenn die Bundesregierung den § 103 StGB, statt seine Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft zu genehmigen, dem Bundesverfassungsgericht zur Kontrolle vorgelegt hätte. Diese Möglichkeit hat sie gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG.

„Majestätsbeleidigung“ und der Gleichheitsgrundsaatz

Die Anwendung des § 103 StGB zur „Majestätsbeleidigung“, dessen Ursprünge in der Kaiserzeit angesiedelt sind, scheint auf den ersten Blick in der Tat darauf zu beruhen, dass die Ehre eines Staatsoberhauptes höher bewertet wird als die eines normalen Bürgers. Eine solche Privilegierung bestimmter Personen beim Schutz ihres höchstpersönlichen Rechtsgutes „Ehre“ lässt sich nach dem Gleichheitssatz unter Art. 3 GG kaum vertreten. Denn nach Art. 3 GG darf wesentlich gleiches nicht ungleich behandelt werden. Und wieso sollte ein Staatoberhaupt mehr „Ehre“ haben als ein normaler Bürger? Eine solche Normanwendung entspricht nicht den Wertungen des Grundgesetzes.

Allein mit dem Argument, Staatsoberhäupter hätten vermeintlich eine schutzwürdigere „Ehre“, lässt sich somit nicht rechtfertigen, dass nach § 103 StGB jemand, der ein fremdes Staatsoberhaupt beleidigt, höher bestraft wird als nach der allgemeinen Beleidigungsvorschrift des § 185 StGB. Allerdings ist eine Ungleichbehandlung nach dem Gleichheitssatz dann verfassungsmäßig, wenn hierfür ein anderer sachlicher Grund vorliegt.

Einen solchen Grund scheint das BVerwG in einer Entscheidung aus dem Jahr 1981 anzunehmen, wenn es sagt:

„Ebenso wie für die Beziehungen zwischen einzelnen Personen das durch Art. 5 Abs. 2 GG geschützte Recht der persönlichen Ehre die unabdingbare Voraussetzung eines friedlichen Zusammenlebens darstellt, ist die Unverletzlichkeit der Würde der – durch ihr Staatsoberhaupt […] repräsentierten – am internationalen völkerrechtlichen Verkehr beteiligten Staaten nicht zuletzt auch im Interesse des Empfangsstaats die notwendige unverzichtbare institutionelle Mindestvoraussetzung für das friedliche Zusammenleben der Staaten“

(BVerwGE 64, 35, NJW 1982, 1008, 1010/11)

Diese Aussage des BVerwG ist nicht zweifelsfrei. Man kann durchaus daran zweifeln, ob Staaten eine „Würde“ haben. Auch mag man fragen, ob gerade das gegenüber § 185 StGB höhere Strafmaß des § 103 StGB wirklich die „unverzichtbare institutionelle Mindestvoraussetzung für das friedliche Zusammenleben der Staaten“ ist – oder ob dafür nicht auch das niedrigere Strafmaß aus § 185 StGB ausreichen würde. Aber einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung kann man darin zumindest sehen: Es geht eben nicht nur um die Beleidigung des Staatsoberhauptes als Person an sich, sondern auch um das friedliche Zusammenleben der Staaten.

Insofern ist § 103 StGB also das speziellere Gesetz zu § 185 StGB, sprich, es baut auf dessen Tatbestandsmerkmalen auf und fügt weitere Merkmale als Voraussetzung für das höhere Strafmaß hinzu.

Majestätsbeleidigung und Normenkontrolle

Wenn die Bundesregierung diese Gründe kannte, dann wird sie vielleicht deshalb darauf verzichtet haben, § 103 StGB dem Verfassungsgericht zur Kontrolle vorzulegen. Denn zulässig ist eine Vorlage im abstrakten Normenkontrollverfahren nur dann, wenn die Bundesregierung von der Nichtigkeit des Paragrafen überzeugt war (strittig, vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 76, Rn. 45 bis 47).

Nur wenn die Vorlage zulässig gewesen wäre, dann wäre sie der direkte Weg zum BVerfG gewesen. Anderenfalls bleibt nur der Rechtsweg der ordentlichen Strafgerichtsbarkeit, innerhalb dessen auch jedes Gericht den § 103 StGB dem BVerfG vorlegen kann, wenn es von seiner Verfassungswidrigkeit überzeugt ist (Art. 100 GG). Auch der Beschuldigte, Jan Böhmermann, kann die Norm einer Befassung des BVerfG zuführen, spätestens nach Erschöpfung des Rechtswegs (dann über Art. 93 Abs. 2 Nr. 4a GG, Verfassungsbeschwerde).

Eine „Abkürzung“ zum BVerfG bleibt allerdings noch offen: Es könnte sein, dass sich nun auch im Parlament ein Quorum findet, welches § 103 StGB für nichtig hält. Ein Viertel der Mitglieder des Bundestags würde hierfür ausreichen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). Völlig fernliegend ist das nicht: Immerhin gab es gegen die Genehmigung von Kanzlerin Merkel sowohl in der Opposition als auch in der SPD politisch reichlich Gegenwind.

Foto: User: Jonas Rogowski / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Dieser Blogpost erschien zuerst auf Telemedicus.

Dieser Beitrag ist Teil der regelmäßig erscheinenden Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.

Maximilian von Grafenstein, Prof. Dr.

Assoziierter Forscher, Co-Forschungsprogrammleiter

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