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16 März 2017

Künstliche Intelligenz, menschliche Ohnmacht – Teil 2

Künstliche Intelligenz wird menschlicher, der Mensch mehr zur Maschine! Eine steile These? Oder treffen sich Mensch und Maschine schon bald in der Mitte, weil auch der Mensch zunehmend durch seine technisierte Umwelt programmiert wird? Dieser Frage widmet sich Innovationsberater Hans Rusinek auch im zweiten Teil (Teil 1) seines Blogposts. 

Der Jargon der Maschinen

Wenn wir maschinengleich eine Schnittstelle in Form eines Bildschirm zwischen uns und unsere Umwelt halten und dies ermöglicht, dass die Einspeisung dieser Schnittstellen auch zunehmend uns steuern kann, dann ist das nur die Hälfte der Geschichte. Eine Entwicklung, die sich dazu parallel bewegt ist, dass die Erwartungen, die wir aneinander haben und das Verhalten was dadurch ausgelöst wird, zunehmend Benchmarks ähnelt, die wir auch an eine Industrie-Fertigungsanlage legen würden. Wir vermessen und optimieren uns im Sinne des Quantified Self wie ein Siemens-Ingenieur eine Gasturbine. Wieviele Likes machen mich begehrt, wieviele gelaufene Kilometer machen mich gesund, wieviel Promille machen einen rauschenden Abend aus?

Der Essayist Florian Goldberg zitiert in diesem Rahmen den rumänische Schriftsteller Virgil Gheorgiu. Letzter beschrieb schon im Jahr 1951 eine Zukunft, in der die Menschheit über eine Armee arbeitsamer Roboter herrscht. Die skizzierte als Folge: “Wir lernen die Gesetzmäßigkeiten und den Jargon unserer Sklaven, um ihnen Befehle geben zu können. Und langsam, unmerklich verzichten wir auf unsere menschlichen Eigenschaften und Gesetze. […] Das erste Symptom dieser Dehumanisierung ist die Missachtung des Menschlichen.” 65 Jahre danach hat diese Aussage eine erschreckendes Gewicht.

Ist es nicht ein solches Performance-Denken, ein Denken des “America first”, welches die Schattenseiten unser Gegenwart ausfüllt? Der Psychologe Arno Gruen diagnostizierte einen Empathieverlust, für den Soziologen Hartmut Rosa geht es um fehlende Resonanz. Das französische Comité invisible spricht von einer Fremdheit des (westlichen) Menschen gegenüber der Welt. Einer Fremdheit, die beispielsweise gebietet, sich zum Beherrscher und Besitzer der Natur zu machen – nur was man fürchtet, versucht man zu beherrschen. In einer vollkommen durchkonstruierten, auf maschinellen Output abgerichteten Welt haben wir Schwierigkeiten damit, lebendig, mitfühlend und empathisch die Wirklichkeit wahrzunehmen. Der Philosoph Peter Bieri fragt in einem brillianten Essay pointiert, wie es denn stattdessen wäre gebildet zu sein? Und stellt fest: Gebildet ist der, der das Verhältnis zu anderen Menschen und sich selbst frei gestalten kann. Ist es nicht genau das, was menschliche Intelligenz ausmacht?

Menschliche vs. künstliche Intelligenz

In der Debatte um künstliche Intelligenz ist eine Begriffsklärung unbedingt notwendig. Nämlich: Was ist hier eigentlich mit Intelligenz gemeint? Wie der Economist erinnert, benutzt künstliche Intelligenz bis jetzt vor allem brute force-Methoden, um intelligent-wirkende Antworten zu simulieren, trotz erheblicher Fortschritte im deep learning-Bereich. Ivana gleicht also die Nachrichten von Robert mit einer Datenbank ab und zieht dann aus einer anderen die richtige Antwort heraus. Wie nah ist das an menschlicher Intelligenz? Welche Art von Denken führen wir dagegen ins Feld? Dass wir den Begriff Intelligenz so frei im Bezug auf Software verwenden, gibt auch ein Zeugnis darüber ab, wie verengt wir ihn mittlerweile sehen: Was ist mit emotionaler Intelligenz, kreativer Intelligenz, rhetorischer Intelligenz, moralischer Intelligenz, was ist mit der Intelligenz nicht Muster zu erkennen, sondern neue zu erschaffen? Intelligenz ist weit mehr, als dass man sich möglichst effizient anzupassen weiß – oder wenn das eine Intelligenz ist, dann ist es die der Sklaven.

Der Computerpionier Ed Djikstra wusste dies bevor es den Begriff der künstlichen Intelligenz erst gab. Er wurde einmal gefragt, ob Computer irgendwann denken. Er antwortete, dass diese Frage in etwa so sei, wie wenn man fragt, ob U-Boote schwimmen können. U-Boote werden doch gerade dafür gebaut nicht zu schwimmen, Computer gerade dafür nicht so wie wir zu denken, sondern rein analytisch. Vielleicht ist es an der Zeit sich diesen Unterschied wieder vor Augen zu führen und den Wert der nicht-künstlichen, der assoziativen, intuitiven ja synthetischen Intelligenz zu erkennen und zu würdigen. Traurig genug, dass der maschinelle Mensch dies mittlerweile abschätzig Soft Skills nennt.

Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine: Für eine Wiederentdeckung menschlicher Intelligenz

Bevor man sich also Gedanken macht, welche Roboter welchem Sachbearbeiter, Handwerker, Fließbandarbeiter oder Akademiker die Stelle wegnehmen, wäre es gut, sich auf das zu besinnen, was vielen immer schwerer fällt, mahnt auch FAZ-Wirtschaftsredakteur Carsten Knop. Das heißt vernünftig miteinander umzugehen, zu konstruktiven Diskursen fähig zu sein, Mut zu haben, sich in das Ungewisse zu wagen. Die Wiederentdeckung der menschlichen Intelligenz erlangt durch die künstliche Intelligenz auch einen strategischen Wert: Gegen die potentielle Entwertung der eigenen Arbeitsleistung durch Roboter wird nichts anderes helfen. Man könnte sagen: Menschliche Intelligenz wird unserer “unique selling point”  bleiben.

Denn die Fähigkeit menschlich zu urteilen, falsch und richtig zu unterscheiden, auch einmal die Welt des Rationalen zu verlassen und in Bildern und Analogien zu denken, kann und wird uns kein Algorithmus abnehmen. Und diese Fähigkeiten werden für uns von großem Wert sein, sie sind weit mehr als Soft Skills. Wir sind in einer Welt, die einen moralischen Kompass sucht und in dieser Verwirrung auch große ökonomische Unsicherheiten schafft. Wir sind in einer Welt, in der Innovationszyklen immer schneller werden, neue Geschäftsmodelle immer schneller auftauchen (und wieder verschwinden): menschliches Denken heißt moralische Orientierung im Sinne von “Erkenne dich selbst”, kreatives Unternehmertum und das Eingehen von Wagnissen. Ich würde behaupten, dass kein Unternehmer ohne diese Fähigkeiten bestehen kann.

Der Ökonom und Erforscher der Digital Economy Jeremy Rifkin geht sogar so weit von einer zukünftigen Welt zu sprechen, in der Jobs, die Empathie bedürfen, boomen werden: “Non-Profit-Krankenhäuser, Non-Profit-Schulen, Pflege der Alten, Umweltschutz, Sport, Künste… Also lassen wir die Maschinen die Arbeit machen, die menschliche Wesen nicht mehr verrichten müssen, und unser Denken kann sich weiterentwickeln, konzentriert darauf, mehr Sozialkapital zu schaffen.” Eine romantische, vielleicht zu romantische Vorstellung.

Vielleicht haben wir so eine Angst vor der Intelligenz der Maschinen, weil uns die eigene menschliche Intelligenz aus den Augen gerät?

Digitalisierung schafft es aufzudecken, dass Mensch und Maschine sich angleichen. Wir lassen uns programmieren, verlagern unsere Wahrnehmung in eine Welt, die für uns vorverdaut wird, wir sprechen und denken in Kategorien, die aus einer Fertigungsanlange kommen könnten. Während die Maschine menschlicher wird, droht der Mensch seine einzigartigen Fähigkeiten zu vergessen. Technologie ist weder schlecht, noch gut, noch neutral, proklamierte der Technologiehistoriker Melvin Kranzberg im letzten Jahrhundert. So ist es auch mit der künstlichen Intelligenz. Wichtig ist, mit Hilfe menschlicher Intelligenz etwas Bedeutungsvolles daraus zu machen. Und dafür die menschliche Intelligenz zu wahren, in der Bildungs- und Kulturpolitik, auf dem Arbeitsmarkt und nicht zuletzt in der Digitalisierungs-Debatte.

tl;dr: Ein Treffen in der Mitte: Während künstliche Intelligenz der menschlichen näher kommt, wird die menschliche Intelligenz mehr und mehr wie eine Maschine. Jedoch, anstelle uns vor dem künstlichen Verstand zu fürchten, sollten wir unser eigenes Denken und Urteilsvermögen, das in sich menschlich ist, wiederentdecken.

Hans Rusinek ist Innovationsberater bei Sturm und Drang und arbeitet hauptsächlich an der Entwicklung nutzerzentrierter Geschäftsmodelle inmitten der digitalen Transformation. Zusätzlich setzt er sich als Redakteur beim Transform Magazin mit Fragen des guten Lebens in einer sich wandelnden Gesellschaft auseinander. Er studierte VWL, Philosophie und Internationale Politik in Bayreuth und an der London School of Economics.

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Hans Rusinek

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