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Person in wheelchair taking photos outside
04 Mai 2022| doi: 10.5281/zenodo.6554286

Potenziale ausschöpfen: Hinderniserkennung mit KI für Barrierefreiheit

Trotz einer ausdrücklicher politischer Unterstützung für mehr Barrierefreiheit in unserer bebauten Umwelt, sind diese immer noch weit verbreitet. Deshalb birgt die KI-unterstützte Kartierung und Dokumentation einer barrierefreien Zugänglichkeit viel Potential für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Sie versorgt sie einerseits mit den nötigen Informationen, um sich durch ihren Alltag durch den öffentlichen Raum navigieren zu können. Andererseits schafft sie durch die Sichtbarmachung von Problemen allgemeine Anreize für wirksame Verbesserungsmaßnahmen. Doch wie genau kann uns KI in dieser Aufgabe unterstützen? Der erste Schritt dazu ist die Bereitstellung offener Trainingsdaten. Wir stellen im folgenden Beitrag einen solchen Datensatz für die Erkennung von Stufen und Treppen vor.

Einleitung

Die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sehen verschiedene und geeignete Maßnahmen vor, um  allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang  zur physischen Umwelt und zu Verkehrsmitteln zu gewähren., Obwohl alle EU-Mitgliedstaaten diese Konvention unterschrieben haben, ist der tatsächliche Stand der Barrierefreiheit noch weit von diesen Standards entfernt. Nur langsam werden Fortschritte erzielt, während dererschwerte Umgang mit Barrieren immer noch den Alltag für viele Menschen in unserer Gesellschaft ist. 

  Dieses Problem hat Basisinitiativen wie Wheelmap.org inspiriert. Sie ist eine Plattform, die Informationen über die Zugänglichkeit öffentlicher Räume für Rollstuhlfahrer*innen auf der ganzen Welt sammelt und diese Informationen in einer Open-Street-Map integriert. Damit können Menschen die Barrierefreiheit von unterschiedlichen Orten nachschlagen, sofern sie dort kartiert wurden. Jede Person kann sich an diesem Projekt beteiligen, indem sie den Status von nicht kartierten Orten eingibt und so das verfügbare Wissen Stück für Stück für alle erweitert. 

  Das Project Sidewalk der Universität Washington stützt sich ebenfalls auf die Hilfe Freiwilliger und kartiert hohe Bordsteinkanten, abgesenkte Bordsteinkanten und Gehweghindernisse aus Google Street View-Bildern. Das  erleichtert beispielsweise für Rollstuhlfahrer*innen die Planung ihrer Navigation von A nach B. Eine Aufgabe, die derzeit aufgrund fehlender oder irreführender Informationen in den aktuellen Kartenoptionen schwierig ist.

Projekte wie die oben genannten haben den unmittelbaren Vorteil, dass sie den Menschen notwendige Informationen vermitteln, um fundierte Planungsentscheidungen zu treffen. Darüber hinaus haben solche von Bürger*innen generierten Daten das Potenzial, die öffentliche Verwaltung voranzutreiben und zu lenken und damit die Agenda zu einer verbesserten Barrierefreiheit in der bebauten Umwelt zu unterstützen. Leider ist die Datenerfassung durch die Freiwilligen eine immense Aufgabe, die von einem gewissen Grad an Automatisierung sehr profitieren könnte. An dieser Stelle kommt die KI ins Spiel.

KI für die Dokumentation von Barrierefreiheit?

  Moderne Computer-Vision-Technologie hat die Fähigkeit, effizient Informationen aus Bilddaten zu extrahieren. Das Projekt Sidewalk hat bereits erfolgreich automatische Objekterkennungstechniken in Kombination mit Anmerkungen Freiwilliger integriert, und so Effizienz und Genauigkeit der Kartierung verbessern können. Eine weitere Idee zielt auf die Klassifizierung von Oberflächentypen öffentlicher Wege anhand von Bilddaten ab.

  Damit KI-Technologien auf solche Aufgaben angewandt werden können, müssen die Systeme auf gesammelte Daten trainiert werden. Bei der Erstellung solcher Trainingsdaten ist es wichtig, die Individualität von Barrierefreiheit und die damit verbundene Komplexität zu berücksichtigen. Hier sollte man davon absehen, KI-Systeme zu entwickeln, die direkt auf die Zugänglichkeit eines Ortes schließen. Vielmehr braucht es Werkzeuge, die relevante Informationen aufspüren können. 

Das Projekt Sidewalk ist ein gutes Beispiel für diesen Ansatz: Anstatt auf die Barrierefreiheit von Gehwegen zu schließen, werden hier Techniken zur Objekterkennung eingesetzt, um relevante Objekte wie Bordsteine, abgesenkte Bordsteine und Hindernisse auf dem Gehweg zu erkennen. Die Ableitung der Barrierefreiheit kann dann als eine Kombination aus dem Wissen über solche Merkmale, der Präzision der Modelle und den individuellen oder spezifischen Anforderungen des Anwendungsfalls belassen werden. So kann die Technologie vielseitiger genutzt werden. 

Datensatz zur Erkennung von Stufen und Treppen

Ein weiteres kritisches Hindernis für Rollstuhlfahrer*innen, wie es auch im Wheelmap-Leitfaden hervorgehoben wird, sind Stufen oder Treppen am Eingang eines Ortes. Um solche Hindernisse automatisch zu erkennen, haben wir einen offenen Datensatz mit 5538 Bildern erstellt, auf denen 3564 Stufen, 1492 Treppen und 143 Rollstuhlrampen vermerkt sind. Alle Fotos stellten Wheelmap-Freiwillige zur Verfügung und zeigen größtenteils Orte in Deutschland, die auf der Wheelmap-Plattform kartiert wurden.

  Die Grundsätze für die Beschriftung wurden in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Benjamin Tannert, Experte für Technologie für Barrierefreiheit, festgelegt. Die Daten sind hier zu finden, wo wir auch detaillierter beschreiben, wie die Daten annotiert wurden und mögliche Fehler und Verzerrungen diskutieren. 

  Dieser offene Datensatz birgt das Potenzial, einen wertvollen Beitrag zur Dokumentation von Barrieren in der baulichen Umwelt zu leisten. Darüber hinaus hoffen wir, dass er in der Diskussion über sensibles Datendesign und transparente Annotationspraktiken berücksichtigt wird. Es ist wichtig zu erkennen, dass Daten nicht objektiv sind. Selbst wenn man sich auf die Annotation auf Objektebene konzentriert, werden immer nicht-triviale Entscheidungen getroffen, die letztendlich bestimmen, was in welche Kategorien fällt, was erkannt wird und mit welchen Arten von Dateninput das Modell funktionieren wird.

Oft ergeben sich diese Entscheidungen aus einem Spannungsverhältnis: Daten, müssen möglichst einfach und heterogen sein, damit die Algorithmen des maschinellen Lernens gut funktionieren. Gleichzeitig wird versucht, die Vielfalt der realen Welt zu erfassen. In dieser Hinsicht werden immer Kompromisse eingegangen. Deshalb ist es wichtig, solche Entscheidungen und die sich daraus ergebenden Verzerrungen transparent zu machen. Nur so ist zukünftig eine korrekte Nutzung der Daten zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang freuen wir uns über Feedback und Verbesserungsvorschläge.

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Jakob Stolberg-Larsen

Ehem. Wissenschaftlicher Mitarbeiter: AI & Society Lab

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