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Ki kann im Sinne der Beschäftigten in der Arbeitswelt gestattet werden
25 Oktober 2022

KI im Sinne der Beschäftigten gestalten

KI bietet Chancen und Risiken für die Arbeitswelt. Doch was können Manager*innen und Betriebsrät*innen tun, um für die Beschäftigten potenzielle positive Auswirkungen zu ermöglichen und negative Auswirkungen zu vermeiden? Dieser Beitrag schildert mögliche Gestaltungsansätze, basierend auf dem bald erscheinenden Handbuch “KI in der Wissensarbeit: Handlungsfelder und Ansätze für eine beschäftigtenorientierte Gestaltung“.

Künstliche Intelligenz wird zunehmend eingesetzt – auch in der Wissensarbeit

Zu Beginn unseres Forschungsprojektes Künstliche Intelligenz und Wissensarbeit (KIWI) im Jahr 2019 klang Künstliche Intelligenz (KI) im Arbeitsalltag noch nach ferner Zukunft; heute ist dies in vielen Unternehmen bereits Realität – auch in der Wissensarbeit. So hat sich die Anzahl von Unternehmen, die KI einsetzen, seit 2019 nahezu verdoppelt (Rammer, 2022). Im Rahmen des Projektes haben wir zu Beginn zunächst untersucht, ob – und wenn ja, wie – KI bisher in Deutschland in der Wissensarbeit eingesetzt wird. Dabei haben wir eine Vielzahl von Anwendungen kennengelernt: Von KI-Systemen, die eingesetzt werden um Texte zu transkribieren und zu verschlagworten, über solche,  die Hate-Speech in Kommentaren identifizieren, bis hin zu jenen, die Wirtschaftsprüfer*innen helfen, Konten zuzuordnen. Die Bandbreite ist denkbar groß. Eine Auswahl dieser Anwendungen ist in unserer öffentlichen KI-Praxisfallsammlung zu finden.  

KI in der Arbeitswelt 

Im Verlauf des KIWI-Projektes hat sich gezeigt, dass es zusammenfassend betrachtet zwei wesentliche Einsatzszenarien für KI in der Wissensarbeit gibt: Augmentation und Automation  (Raisch & Krakowski, 2021; von Richthofen et al., 2021). 

Augmentation von Arbeit

Eine Augmentation beinhaltet, dass Menschen eng mit Maschinen bei der Ausführung einer Tätigkeit zusammenarbeiten. Ein gutes Beispiel aus unseren Fallstudien betrifft die Organisation von Wissen in Bibliotheken. In der Vergangenheit haben Fachreferent*innen neue Publikationen intellektuell erschlossen. Das heißt, dass jeder neuen Publikation bestimmte Schlagwörter zugeordnet werden, um sie für die Nutzer*innen leichter auffindbar zu machen. Nun wird zunehmend auch KI eingesetzt, um diesen Prozess entweder vollständig zu automatisieren oder den Fachreferent*innen zumindest Schlagwörter vorzuschlagen. 

Automation von Arbeit

Bei einer Automation übernimmt die Maschine eine menschliche Tätigkeit. Ein häufiges Anwendungsbeispiel für Automation betrifft den Einsatz von Chat- und Voicebots im Kund*innenservice. In der Regel geht es dabei um die Automation einzelner und gut abgrenzbarer Tätigkeiten im Rahmen des Kundendienstes, wie z. B. der Authentifizierung der Kund*innen. In den im Rahmen des KIWI-Projekts studierten Organisationen konnten wir beobachten, dass KI mehrheitlich zur Automation von Tätigkeiten verwendet wurde. Aber es gibt auch hybride Formen, in denen die Grenzen zwischen Automation und Augmentation verschwimmen (von Richthofen et al., 2022).

KI birgt Chancen und Risiken für Beschäftigte

Viele Jahre wurde KI wahlweise als Heilsbringer oder als Gefahr für Beschäftigte dargestellt. Spätestens seit der Veröffentlichung des Berichts „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale“ ist jedoch klar, dass KI sowohl Chancen als auch Risiken für Beschäftigte bietet. Die Implikationen des KI-Einsatzes hängen dabei von den gesellschaftlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen sowie seiner konkreten Gestaltung ab. 

Ziel ist es, die positiven Auswirkungen des KI-Einsatzes für Beschäftigte zu ermöglichen (z. B. die Entlastung von anstrengenden und/oder gefährlichen Tätigkeiten) und die negativen Auswirkungen des KI-Einsatzes zu vermeiden (z. B. die Überwachung von Beschäftigten und/oder der Wegfall von Arbeitsplätzen). Im Projektverlauf haben wir im Rahmen von Fallstudien und Interviews mit Vertreter*innen zahlreicher Organisationen gesprochen, die KI bereits nutzen oder derzeit einführen. Basierend auf unseren Erkenntnissen und Workshops mit Vertreter*innen aus dem Management und der Mitbestimmung, haben wir Handlungsfelder erarbeitet, die Manager*innen und Mitbestimmungsakteur*innen dabei unterstützen können, KI beschäftigtenorientiert, also im Sinne und unter Berücksichtigung von Bedürfnissen der Beschäftigten, einzuführen. 

Handlungsfelder für das Management

Es gibt eine Reihe von Gestaltungsansätzen für das Management, um KI im Sinne der Beschäftigten einzuführen, die wir in drei Handlungsfeldern zusammenfassen: Orientieren, Befähigen und Beteiligen. Unsere Einsichten basieren dabei u.a. auf acht Fallstudien und 50 damit verbundenen Interviews mit Anwender*innen, Entwickler*innen, sowie Manager*innen und Projektleiter*innen. 

Orientieren 

Orientieren bezeichnet ein Feld von Aktivitäten, die darauf abzielen, Beschäftigte über KI als Technologie zu informieren. Dazu gehört auch, ihre aktuellen, sowie ihre potenziellen Einsatzmöglichkeiten innerhalb der jeweiligen Organisation zu veranschaulichen und in einen größeren Bedeutungszusammenhang zu stellen. Orientierung in Hinblick auf KI ist wichtig, da der Begriff KI selbst in der Fachwelt umstritten ist (Liu, 2021) und die Vorstellungen von ihr in der Öffentlichkeit häufig von Mythen geprägt sind (Huysman, 2020). Manager*innen können zur Orientierung drei Ansätze nutzen, die wir als Verständigen, Vorausschauen und Veranschaulichen bezeichnen.

Befähigen

Befähigen umfasst Praktiken, die darauf abzielen Organisationen, sowie ihre Teams und Mitarbeiter*innen in die Lage zu versetzen, KI-Systeme zu entwickeln, implementieren, nutzen und unterhalten. Die Befähigung von Arbeitnehmer*innen ist ein zentrales Handlungsfeld für eine beschäftigtenorientierte Gestaltung, da durch den KI-Einsatz neue Tätigkeiten und Rollen entstehen, die in vielen Fällen die Aneignung neuer Fähigkeiten erfordern (von Richthofen et al., 2022). Drei Ansätze eignen sich zur Qualifizierung der Beschäftigten: die Eigenentwicklung von KI-Anwendungen, interorganisationale Kooperationen, und Weiterbildungsangebote.  

Beteiligen 

Im Organisationskontext umfasst die Beteiligung allgemeine Praktiken und Prozesse der direkten Teilhabe Beschäftigter bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes, der Arbeitsstrukturen und der Arbeitsprozesse (Becker & Brinkmann, 2017). Im Rahmen der KI-Einführung ist eine frühzeitige und umfassende Beteiligung von Arbeitnehmer*innen und ihren Vertreter*innen wünschenswert. Insbesondere die Anwender*innen der Technologie verfügen über essenzielles Domänenwissen für die erfolgreiche Entwicklung und Einsatz von KI-Anwendungen (von Richthofen et al., 2022). Beschäftigte sollten daher bereits an der Identifizierung von Anwendungsfällen beteiligt und ihr Domänenwissen effektiv in den Entwicklungsprozess integriert werden. 

Handlungsfelder für die Mitbestimmung

Der frühzeitige und umfassende Einbezug des Betriebsrats kann wesentlich zum Erfolg von KI-Einführungen beitragen (Klengel & Wenckebach 2021). Betriebsräte kennen die Arbeitsrealität und Bedürfnisse der Beschäftigten sehr gut, können so die Machbarkeit von KI-Vorhaben einschätzen und die Akzeptanz für neue Systeme in der Belegschaft steigern. Gleichzeitig stellen die besonderen Merkmale von KI-Systemen die Mitbestimmung auch vor Herausforderungen. Bewältigungsansätze von und für Arbeitnehmer*innenvertreter*innen lassen sich in drei Handlungsfeldern zusammenfassen. Grundlage dieser Erkenntnisse bilden 25 Interviews sowie ein Workshop mit Betriebsrät*innen, Gewerkschafter*innen und ehemaligen Betriebsrät*innen, die als KI-Mitbestimmungsberater*innen fungieren. 

Verstehen 

Die Aktivitäten im Handlungsfeld Verstehen beschreiben zunächst den Aufbau und die Verwaltung von KI-Wissen innerhalb des Betriebsrats. Die Funktionsweisen von KI-Systemen sind komplex und nicht nur aus Sicht der Betriebsräte häufig schwer nachvollziehbar. Gleichzeitig erfordert eine Mitbestimmung von KI auf Augenhöhe, dass Arbeitnehmer*innenvertreter*innen über ein KI-Grundwissen verfügen. Im Handbuch identifizieren wir daher drei Ansätze, die sich für Betriebsräte als hilfreich erwiesen haben, dieses aufzubauen und zu verwalten: Weiterbildung in Form von bedarfsgerechten Schulungen, Vernetzung mit externen Expert*innen und Wissensträger*innen innerhalb der Organisation und Verbreitung von relevanten Informationen zu aktuellen internen KI-Projekten.

Systematisieren

Im Handlungsfeld Systematisieren beschreiben wir Ansätze, mittels Checklisten Prozesse im Rahmen der KI-Einführung zu erleichtern. Denn es mangelt in der Breite der Betriebsräte an Routinen, Erfahrungswerten und geeigneten Strukturen im Umgang mit KI. Dies beginnt häufig  bereits mit dem Fehlen einer praktischen Definition von KI. Im Handbuch identifizieren wir daher KI-Steckbriefe und Ampelsysteme als zwei Ansätze, die Betriebsrät*innen zur Systematisierung als sinnvoll beschrieben. KI-Steckbriefe stellen zentrale Eckpunkte von KI-Vorhaben der Organisation in standardisierter Form dar. Zusätzlich ermöglichen Ampelsysteme es, KI-Systeme mittels zentraler Prüfkriterien einzuordnen und zu klassifizieren. 

Flexibilisieren 

Im Handlungsfeld Flexibilisieren beschreiben wir die Gestaltung bewusst offener Prozesse in der Regelung von KI-Systemen. Da die Systeme sich laufend weiterentwickeln, können sie aus Sicht der Betriebsräte schwer vorhersehbare Dynamiken entwickeln. Gleichzeitig können KI-Systeme weitreichende Auswirkungen auf Beschäftigte haben, etwa auf ihre Autonomie oder die Qualität der Tätigkeiten, die sie ausführen. Daher sollten KI-Systeme vorab bestmöglich erprobt und vorausschauend geregelt werden. Laut der Arbeitnehmer*innenvertreter*innen eignen sich Pilotprojekte und prozessorientierte Betriebsvereinbarungen, um in der Verhandlung von KI der Veränderlichkeit der Systeme gerecht zu werden. Pilotprojekte beinhalten die testweise und temporäre Nutzung von KI-Systemen in einem kleinen und klar definierten Rahmen. Prozessorientierte Betriebsvereinbarungen stellen die Regelung der Nutzungsprozesse von KI-Systemen in den Vordergrund anstelle von technischen Details.

Ausblick

Auch wenn Organisationen KI zunehmend in ihren Arbeitsprozessen einsetzen, steht die Adoption von KI in Deutschland absolut gesehen noch am Anfang. Bisher setzen erst rund 10 Prozent der Unternehmen in Deutschland KI ein (Rammer, 2022). Dies bietet die Chance, eine KI-Einführung aktiv und im Sinne der Beschäftigten zu gestalten. Die steigenden Adoptionsraten von KI in Unternehmen sprechen dafür, dass ihre Gestaltung in zunehmendem Maße die Zukunft der Arbeit prägen wird. Auch wenn wir bisher in unseren Studien überwiegend positive Auswirkungen beobachten konnten, wie z. B. die Entlastung von Beschäftigten von mühsamen und repetitiven Tätigkeiten, bedeutet dies nicht, dass negative Auswirkungen nicht eintreten können. So argumentieren führende Forscher*innen, dass sich viele der Auswirkungen des KI-Einsatzes erst in Jahren abzeichnen werden. Somit wächst die Notwendigkeit, systematisch Ansätze zur beschäftigtenorientierten Gestaltung zu entwickeln, erproben und einzusetzen. 

Referenzen

Becker, K., & Brinkmann, U. (2017). Partizipation. In H. Hirsch-Kreinsen & H. Minssen (Eds.), Lexikon der Arbeits- und Industriesoziologie (pp. 254–258). Nomos. 

Huysman, M. (2020). Information systems research on artificial intelligence and work: A commentary on “Robo-Apocalypse canceled? Reframing the automation and future of work debate”. Journal of Information Technology, 35(4), 307–309. https://doi.org/10.1177/0268396220926511 

Klengel, E., & Wenckebach, J. (2021). Artificial intelligence, work, power imbalance and democracy – why co-determination is essential. Italian Labour Law E-Journal, 2(14), 157-171. https://doi.org/10/gn7kcv

Liu, Z. (2021). Sociological perspectives on artificial intelligence: A typological reading. Sociology Compass, 15(3), e12851. https://doi.org/10.1111/soc4.12851 

Raisch, S., & Krakowski, S. (2021). Artificial Intelligence and Management: The Automation–Augmentation Paradox. Academy of Management Review, 46(1), 192–210. https://doi.org/10.5465/amr.2018.0072

Rammer, C. (2022). Kompetenzen und Kooperationen zu Künstlicher Intelligenz: Ergebnisse einer Befragung von KI-aktiven Unternehmen in Deutschland. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. https://www.de.digital/DIGITAL/Redaktion/DE/Digitalisierungsindex/ Publikationen/publikation-download-ki-kompetenzen.html

von Richthofen, G., Gümüsay, A. A., & Send, H. (2021). Künstliche Intelligenz und die Zukunft von Arbeit. In R. Altenburger & R. Schmidpeter (Eds.), CSR und Künstliche Intelligenz (pp. 353-366). Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-63223-9_19

von Richthofen, G., Ogolla, S., & Send, H. (2022). Adopting AI in the Context of Knowledge Work: Empirical Insights from German Organizations. Information, 13(4), 199. https://www.mdpi.com/2078-2489/13/4/199 

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Georg von Richthofen, Dr.

Senior Researcher & Projektleiter: Innovation, Entrepreneurship & Gesellschaft

Sonja Köhne

Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Innovation, Entrepreneurship & Gesellschaft

Hendrik Send, Prof. Dr.

Assoziierter Forscher: Innovation, Entrepreneurship & Gesellschaft

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