Unsere vernetzte Welt verstehen
Keine Innovation ohne Investition: Ein Dilemma der klassischen Medienindustrie
Digitalisierung und Internet sowie das veränderte Konsumverhalten der Mediennutzer stellen die Geschäftsmodelle der klassischen Medienindustrie in Frage. Diese kann darauf mit rechtlicher Gegenwehr oder ökonomischer Anpassung etwa mit neuen Produkten und Geschäftsmodellen reagieren. Während sich rechtliche Maßnahmen aufgrund des gesellschaftlichen Drucks immer weniger GEGEN Mediennutzungen im Internet rechtfertigen und durchsetzen lassen (siehe sogleich), geht eine ökonomische Anpassung der Produktions- und Vertriebsstrukturen IM RAHMEN des Internets mit hohen Investitionskosten einher. Digitalisierung und Internet führt also einerseits zu einem Rückgang bisheriger Einkommensquellen der klassischen Medienindustrie und zwingt diese gleichzeitig, in die Innovation ihrer Geschäftsmodelle zu investieren. Es ist ein Dilemma, für das ich Auswege am Beispiel meines eigenen Startups in Erfahrung bringen wollte.
Rechtliche Maßnahmen stellen – zumindest für sich allein – keinen solchen Ausweg dar. Dabei ist der Vorwurf, den die klassischen den Neuen Medien vorwerfen, nicht völlig aus der Luft gegriffen. Dieser lautet, dass die Neuen Medien die mit der Medienproduktion geschaffenen Werte – ohne Einsatz eigenen Risikos und Kapitals – abschöpfen würden. Das heißt nicht, dass diese kein eigenes Kapital aufbrächten bzw. kein eigenes Risiko eingingen. Nur bezieht sich dieses nicht auf die Medieninhalte, sondern auf die technische Infrastruktur, mittels derer Nutzer die Inhalte konsumieren: Wenn Google eine Suchmaschine anbietet, über die Internetnutzer Inhalte gleich welcher Art suchen können, bringt es sein Kapital und Risiko nicht auf diese Inhalte, sondern eben auf die Suchmaschine ein. Die klassischen Medien argumentieren daher, dass die Neuen Medien ihre Werte abschöpften, weil eine Google-Suche ohne Inhalte keinen Nutzen bringen würde. Die Neuen Medien halten dagegen, dass der Wert für die Nutzer nicht in dem eigentlichen Werkgenuss, sondern im Auffinden der Inhalte bzw. im kommunikativen Austausch über diese läge. Die Grenzen sind hier fließend und die Thumbnail-Entscheidungen wie auch das neue Leistungsschutzrecht für Presseverleger machen die Schwierigkeiten deutlich, diese rechtlich auszuloten.
Daneben stellt sich die wirtschaftliche Frage, wie Produzenten ihre Medieninhalte eigentlich aufbereiten und verbreiten müssten, damit sie auch im Internet – trotz oder gerade angesichts des veränderten Konsumverhalten – konsumiert und letztlich finanziert würden. Anstatt den digitalen Werkgenuss rechtlich zu verbieten oder einen Teil der Werbeeinnahmen der Suchmaschinen und Social Media-Plattformen im Wege eines Leistungsschutzrechtes für Verleger abzuzweigen, ist es denkbar, die Produktionsmethoden und Geschäftsmodelle aus den Neuen Medien für die Herstellung und Verbreitung von Medieninhalten zu übernehmen. Denn die klassische Medienproduktion, insbesondere die Filmproduktion, leidet nicht nur unter ihrer selbstverschuldeten Überproduktion und Unterdistribution, sondern Inhalte wie Filme und journalistische Beiträge müssen sich im Kampf um Aufmerksamkeit und Zeit auch gegen ein Übermaß an neuen Angeboten wie – ohne weitere Systematisierung – Games, mobile Apps und Social Media-Plattformen behaupten. Wie also müssen klassische Medieninhalte aufbereitet und angeboten werden, um in diesem Kampf um Nutzer zu bestehen?
Die Antwort wollte ich am Beispiel meines Startups MAUERSCHAU speziell für journalistische bzw. kinematografische Inhalte herausfinden, die für das mobile Internet aufbereitet werden: Wie viel würden unsere Nutzer dafür zahlen, dass sie das ehemalige Berlin über Augmented Reality-Fotos und ortsgebundene Zeitzeugeninterviews wiedererleben können? Dieser Idee lag das selbsterfahrene Problem zugrunde, dass Berlins kulturelles Erbe im Zeitenwandel immer weiter in Vergessenheit gerät. Denn diese Stadt ändert sich so schnell, dass ich mir als Neuberliner die persönlichen Geschichten der Bewohner – die Zeitzeugen des welthistorischen Geschehens – heute kaum mehr vorstellen kann. Dieses Problem wollte ich mit dem Bau eines mobilen, virtuellen Museums lösen.
Zunächst trafen wir einige strategische Entscheidungen: Mit unserer location-based App visierten wir geschichtsinteressierte Berliner und seine Berlintouristen als Primärzielgruppen an. Damit positionierten wir unsere Inhalte neben den Angeboten von Stadtführungen und Museen, wobei wir unsere technische Infrastruktur nicht als Konkurrenz sondern als eine mobile bzw. virtuelle Erweiterung ihrer Führungen und Ausstellungen ansehen. So können Besucher der Museen bestimmte Inhalte auch mittels unserer App ansehen bzw. werden sie auf das museale Angebot aufmerksam gemacht. Ein ähnliches Ziel verfolgt unsere Medienpartnerschaft mit der Berliner Zeitung. In ihrem Rahmen können sowohl tagesaktuelle als auch zeithistorische Ereignisse von der Printausgabe über die Onlineplattform bis an die Orte des Geschehens journalistisch aufbereitet werden. Um bei unseren Nutzern die Rezeption sowohl der Inhalte als auch des Bezahlmodells zu testen, entschieden wir uns, die App als Freemium-Version anzubieten. In dieser können zunächst die Kernfunktionen und eine erste Zeitzeugen-Tour getestet und dann über In-App-Purchases weitere kostenpflichtige Touren hinzugebucht werden.
Für unsere privatwirtschaftlichen Kooperationspartner war es insbesondere interessant, die Zahlungsbereitschaft der Nutzer für das mobile Angebot zu testen. Für die klassische Medienindustrie gehört zu den Schlüsselfragen, inwieweit Nutzer bereit sind, im Internet für Inhalte zu zahlen. Auch für uns war das eine der zentralen Fragen, wollten wir doch auf Grundlage dieser Einnahmen nicht nur die technische Infrastruktur instand halten, sondern auch immer weitere Zeitzeugentouren herstellen. Für die Instandhaltung der Infrastruktur – wie Domain- und Serverkosten, Anpassungen der App an neue iOS-Updates und allgemeine Produktionskosten – kalkulierten wir mit ungefähr 5.000,- Euro pro Jahr. Eine Zeitzeugentour wollten wir ursprünglich für 2,69 Euro anbieten, was wir gemessen an dem durchschnittlichen Preis für eine „analoge“ Stadtführung oder den Eintritt in ein Museum für sehr niedrig hielten. Nach Abzug der Vertriebsprovision für den App-Store, der Umsatzsteuer sowie einer Beteiligung der Filmarchive rechneten wir mit einem Nettoerlös in Höhe von 1,- Euro pro verkaufter Tour. Wir mussten nach dieser Rechnung also ca. 5.000 Zeitzeugentouren pro Jahr verkaufen, um das MAUERSCHAU-Projekt zu betreiben.
Der Launch der MAUERSCHAU war mit über 3.600 Downloads in weniger als drei Monaten tatsächlich ein Erfolg. Dieser relativiert sich allerdings mit Blick auf das Geschäftsmodell. Denn bei den kostenpflichtigen In-App-Purchases waren die Nutzer zurückhaltender. Rechnet man die verkauften Touren auf ein Jahr hoch, werden die erforderlichen 5.000,- Euro nicht erreicht.
Damit wird offensichtlich, dass die Suche nach einem funktionierenden Geschäftsmodell weiter gehen muss, soll das Projekt am Markt bestehen bleiben. Das allerdings erfordert weitere Investitionen, denn mit ihr geht auch die Weiterentwicklung des Produkts einher. Dieser Kreislauf ist emblematisch für die Herausforderungen, denen die klassische Medienindustrie gegenüber steht. Das geänderte Nutzungsverhalten stellt ihre bisherigen Produkte und Geschäftsmodelle in Frage und zwingt sie gleichzeitig, in die Suche neuer Produkte und Geschäftsmodelle zu investieren. Diese Investitionskraft hat jedoch nicht jedes Unternehmen. So stellt sich nicht nur für uns, sondern für die meisten Produzenten der Medienindustrie die Frage, mit welchen Finanzierungsquellen diesem Anpassungsdruck begegnet werden soll. Diese Frage wird in den nächsten Blogbeiträgen behandelt werden.
Foto: Jesse Knish Photography for GDC Online, CC BY 2.0
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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