Skip to content
freddie-collins-309833-unsplash
02 October 2018

What is surveillance capitalism?

Big Brother is watching you. And not only that – new methods of evaluating and manipulating behavior are starting to threaten our freedom. In her new book “The Age of Surveillance Capitalism. The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power”, Harvard economist Shoshana Zuboff takes a critical look at the new markets in which people are only the source of free raw materials: Suppliers of data. Can politics curb the growing power of high-tech giants and minimize new forms of social inequality – or is resistance futile anyway?

Überwachungskapitalismus beansprucht einseitig menschliche Erfahrung als Rohstoff zur Umwandlung in Verhaltensdaten. Ein Teil dieser Daten dient der Verbesserung von Produkten und Diensten, den Rest erklärt man zu proprietärem Verhaltensüberschuss, aus dem man mithilfe fortgeschrittener Fabrikationsprozesse, die wir unter der Bezeichnung „Maschinen- oder künstliche Intelligenz“ zusammenfassen, Vorhersageprodukte fertigt, die erahnen, was sie jetzt, in Kürze oder irgendwann tun. Und schließlich werden diese Vorhersageprodukte auf einer neuen Art von Marktplatz für Verhaltensvorhersagen gehandelt, den ich als Verhaltensterminkontraktmarkt bezeichne. So erpicht wie zahllose Unternehmen darauf sind, auf unser künftiges Verhalten zu wetten, haben Überwachungskapitalisten es mittels dieser Operationen zu immensem Wohlstand gebracht.

Zuboff holds a lecture about surveillance capitalism on 6 November

Wie wir in den kommenden Kapiteln sehen werden, zwingt die Wettbewerbsdynamik die Überwachungskapitalisten zum Erwerb immer aussagekräftigerer Quellen für Verhaltensüberschuss, wie sie etwa unsere Stimmen, Persönlichkeiten und Emotionen darstellen. Und schließlich sind sie dahintergekommen, dass man die aussagekräftigsten Verhaltensdaten überhaupt durch den aktiven Eingriff in den Stand der Dinge bekommt, mit anderen Worten, indem man Verhalten anstößt, heraus kitzelt, tunt und in der Herde in Richtung profitabler Ergebnisse treibt. Motor dieser Entwicklung ist der Wettbewerbsdruck; Ergebnis dieses Wandels ist, dass automatisierte Maschinenprozesse unser Verhalten nicht nur kennen, sondern auch in einer wirtschaftlichen Größenordnung auszuformen vermögen. Angesichts dieser Abwendung vom bloßen Wissen hin zur Machtausübung genügt es nicht mehr, den Fluss der Informationen über uns zu automatisieren. Das neue Ziel besteht darin, uns selbst zu automatisieren. In dieser Evolutionsphase des Überwachungskapitalismus werden die Produktionsmittel zunehmend komplexen und umfassenden „Verhaltensmodifikationsmitteln“ untergeordnet. Auf diese Weise gebiert der Überwachungskapitalismus eine neue Spezies von Macht, die ich als Instrumentarismus bezeichne. Instrumentäre Macht kennt und formt menschliches Verhalten im Sinne der Ziele anderer. Anstatt Waffen und Armeen bedient sie sich zur Durchsetzung ihres Willens eines automatisierten Mediums: der zunehmend allgegenwärtigen rechnergestützten Architektur „intelligenter“ vernetzter Geräte, Dinge und Räume.

In den folgenden Kapiteln folgen wir dem Wachstum und der Ausbreitung dieser Operationen und der instrumentären Macht, die sie stützt. Es ist schwierig geworden, diesem kühnen Marktprojekt zu entkommen, reichen seine Tentakel doch mittlerweile von der sachten Beeinflussung argloser Pokémon-Go-Spieler, ihr Geld in Restaurants, Bars, Imbissstuben und Geschäfte zu tragen, die für ihre Wetten auf den Verhaltensterminkontraktmärkten bezahlen, bis hin zur skrupellosen Enteignung von Facebook-Profilen zum Zweck der Ausformung individuellen Verhaltens – sei es der Kauf einer Pickelsalbe freitags um Viertel vor sechs, der Klick auf ein Paar Laufschuhe während des Endorphinschubs nach dem Jogging am Sonntagmorgen oder die Parlamentswahl kommende Woche. So wie der Industriekapitalismus sich zur fortwährenden Weiterentwicklung der Produktionsmittel für die Herstellung preiswerter Produkte gezwungen sah, so sind die Überwachungskapitalisten und ihr Klientel heute Sklaven der fortwährenden Weiterentwicklung ihrer Mittel zur Verhaltensmodifikation und der zunehmenden Gewalt instrumentärer Macht.

Schluss mit digitalen Utopien

Der Überwachungskapitalismus läuft dem ursprünglichen digitalen Traum zuwider; das ursprüngliche Konzept des „bewussten Zuhauses“ ist dank seiner längst obsolet. Er macht Schluss mit der Illusion, der vernetzten Form eigne so etwas wie eine immanente Moral – dass „verbunden“ zu sein doch essenziell prosozial und integrativ sein müsse oder von Natur aus zur Demokratisierung von Wissen neige. Digitales Verbundensein ist heute ein Mittel zu anderer Leute geschäftlichen Zielen. Im Grunde seines Wesens ist der Überwachungskapitalismus parasitär und selbstreferenziell. Er haucht der alten Vorstellung vom Kapitalismus als sich von der Arbeit nährendem Vampir neues Leben ein – wenn auch mit einem von Marx nicht vorhergesehenen Dreh: Anstatt von Arbeit nährt der Überwachungskapitalismus sich von jeder Art menschlicher Erfahrung.

Erfunden und perfektioniert hat den Überwachungskapitalismus Google, und zwar so ziemlich auf dieselbe Art, wie General Motors den Managementkapitalismus erfunden und zur Vollendung gebracht hat. Google war der Pionier des Überwachungskapitalismus sowohl in der Theorie als auch in der Praxis; Google hatte das Geld für Forschung und Entwicklung; Google bahnte hinsichtlich Experiment und Implementierung den Weg. Nur dass das Unternehmen diesen Weg heute nicht mehr alleine geht. Der Überwachungskapitalismus breitete sich rasch auf Facebook und Microsoft aus, und es gibt Hinweise darauf, dass auch Amazon diesen Weg eingeschlagen hat. Und für Apple stellt er als Bedrohung von außen wie als Auslöser interner Debatten eine unablässige Herausforderung dar.

Als Pionier des Überwachungskapitalismus hat Google eine beispiellose Marktoperation losgetreten, einen Vorstoß in die unkartierten Weiten des Internets, wo es mangels Gesetz oder Wettbewerb so gut wie keine Hindernisse gab – die Analogie mit einer invasiven Spezies in einem Ökosystem ohne natürliche Feinde drängt sich auf. Man zögerte nicht, sich bestehenden Rechts zu bedienen, um sein Anrecht auf diesen rechtsfreien Raum geltend zu machen, und betrieb die systemische Geschlossenheit seiner Geschäfte mit einem halsbrecherischen Tempo, dem weder der Staat noch der Privatmensch zu folgen vermochte. Außerdem profitierte Google von den Wendungen der Geschichte. Da ein nationaler Sicherheitsapparat sich nach 9/11 zum Handeln gezwungen sah, zeigte er sich, um der Allwissenheit und ihres Gewissheitsversprechens willen, mehr als geneigt, Googles im Entstehen begriffene Möglichkeiten zu hegen, nachzuahmen, zu schützen, sich diese nötigenfalls sogar anzueignen.

Rasch erkannten die Überwachungskapitalisten, dass sie tun und lassen konnten, was sie wollten. Im modischen Gewand von Anwaltschaftlichkeit und Emanzipation machte man sich die Ängste der Zweiten Moderne zunutze, während die eigentliche Arbeit hinter den Kulissen stattfand. Die Tarnkappe, unter der man dabei arbeitete, wob man zu gleichen Teilen aus der Rhetorik eines zu Ungeahntem befähigenden Internets, einer flinken Vorgehensweise, der Gewissheit eines immensen Ertragsstroms und der Schutzlosigkeit des unzivilisierten Territoriums, das da zu erobern war. Sie arbeiteten dabei im Schutz der Unlesbarkeit automatisierter proprietärer Prozesse, der Unwissenheit, die diese Prozesse erzeugen, sowie dem Gefühl der Unabwendbarkeit, das sie befördern.

Wir werden entmündigt – und müssen auch noch dafür bezahlen

Der Überwachungskapitalismus beschränkt sich längst nicht mehr auf den dramatischen Wettbewerb zwischen den großen Internetfirmen, deren Verhaltensterminkontraktmärkte zunächst nur auf die Online-Werbung gerichtet waren; seine ökonomischen Imperative und Mechanismen sind zum Standardmodell praktisch aller webbasierten Unternehmen geworden. Und schließlich sorgte der Wettbewerbsdruck dann auch für die Ausdehnung in die Offline-Welt, wo dieselben Grundmechanismen, die Sie online Ihres Browserverhaltens, Ihrer „Likes“ und Klicks enteignen, auf Ihr Jogging im Park, auf Ihre Frühstückskonversation und auf Ihre Jagd nach einem Parkplatz gerichtet sind. Und die Verhaltensterminkontraktmärkte, auf denen heute Vorhersageprodukte gehandelt werden, erstrecken sich weit über die zielgerichtete Online-Werbung hinaus auf zahlreiche andere Geschäftsfelder, so etwa Versicherungen, Einzelhandel, Finanzwesen und ein wachsendes Spektrum von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, die fest entschlossen sind, an diesen neuen und profitablen Märkten teilzuhaben. Egal, ob es um „intelligente“ Geräte für zuhause geht, um „verhaltensorientierte“ Versicherungsprämien oder irgendeine von Tausenden von anderen Transaktionen, wir sehen uns entmündigt und müssen dafür auch noch bezahlen.

So gesehen sind die Produkte und Dienstleistungen des Überwachungskapitalismus mitnichten die Objekte eines Wertaustauschs; von einer konstruktiven Reziprozität zwischen Produzent und Konsument kann hier keine Rede mehr sein. Vielmehr sind sie „Köder“, die die Nutzer in seine ausbeuterischen Operationen locken, in denen man ihre persönliche Erfahrungswelt ausschlachtet und als Mittel zu anderer Leute Ziele verpackt und verkauft. Weder sind wir die „Kunden“ des Überwachungskapitalismus, noch gilt das Motto „wenn es nichts kostet, bist du das Produkt“. Wir sind die Quellen für den alles entscheidenden Überschuss des Überwachungskapitalismus – die Objekte einer technologisch fortgeschrittenen und zunehmend unentrinnbaren Operation zur Rohstoffgewinnung. Die eigentlichen Kunden des Überwachungskapitalismus sind die Unternehmen, die ihre Wetten auf seinen Märkten für künftiges Verhalten platzieren.

Diese Logik macht unser Alltagsleben zur täglichen Erneuerung eines zeitgenössischen faustischen Pakts. „Faustisch“ deshalb, weil es uns – trotz des Umstands, dass das, was wir dafür geben müssen, unser Leben auf immer verändern wird – nahezu unmöglich ist, uns diesem Pakt zu entziehen. Bedenken Sie Folgendes: Das Internet ist unabdingbar geworden für soziale Teilhabe; das Internet ist heute vom Kommerz bestimmt; dieser Kommerz ist heute dem Überwachungskapitalismus untergeordnet. Unsere Abhängigkeit steht demnach im Herzen des kommerziellen Überwachungsprojekts, in dem unser gefühltes Bedürfnis nach einem effektiven Leben mit der Neigung ringt, seinen dreisten Eingriffen zu widerstehen. Dieser Konflikt sorgt für eine seelisch-geistige Abstumpfung, die uns dickfellig macht gegenüber der Realität, getrackt, geparst, ausgewrungen und modifiziert zu werden. Sie sorgt für eine Neigung, uns die Lage in einer Art zynischer Resignation schönzureden, uns mit Ausflüchten – „ich habe ja nichts zu verstecken“ – zu verteidigen oder den Kopf sonst wie in den Sand zu stecken. Wir entscheiden uns also aus Überdruss und Hilflosigkeit für die Unwissenheit. So zwingt uns der Überwachungskapitalismus, eine von Grund auf illegitime Entscheidung zu treffen, die eines Individuums im 21. Jahrhundert unwürdig ist. Und dass sie zum Normalfall wird, lässt uns, obschon in Ketten gelegt, auch noch jubilieren.

Asymmetrien an Wissen und Macht

Der Überwachungskapitalismus operiert mittels dieser beispiellosen Asymmetrien an Wissen und der Macht, die damit einhergeht. Überwachungskapitalisten wissen alles über uns, während ihre Operationen so gestaltet sind, uns gegenüber unkenntlich zu sein. Überwachungskapitalisten entziehen uns unermessliche Mengen neuen Wissens, aber nicht für uns; sie sagen unsere Zukunft nicht zu unserem, sondern zu anderer Leute Vorteil voraus. Solange wir dem Überwachungskapitalismus und seinen Verhaltensterminkontraktmärkten zu florieren gestatten, solange wird der Besitz der neuen Verhaltensmodifikationsmittel den Besitz der Produktionsmittel als Ursprung kapitalistischen Wohlstands und der Macht im 21. Jahrhundert in den Schatten stellen.

Wir werden diese Tatsachen und ihre Auswirkungen auf unser individuelles Leben, unsere Gesellschaften und unsere sich herausbildende Informationszivilisation in den folgenden Kapiteln genauer unter die Lupe nehmen. Die Indizien, so wie ich sie verstehe, legen den Schluss nahe, dass es sich beim Überwachungskapitalismus um eine aus dem Ruder gelaufene, von neuartigen ökonomischen Imperativen getriebene Kraft handelt, die nicht nur soziale Normen ignoriert, sondern auch die Naturrechte aufhebt, die wir mit der Souveränität des Einzelnen verbinden und auf denen jede Möglichkeit von Demokratie an sich baut.

So wie die Industriezivilisation auf Kosten der Natur florierte und uns heute die Erde zu kosten droht, wird eine vom Überwachungskapitalismus und seiner instrumentären Macht geprägte Informationszivilisation auf Kosten der menschlichen Natur florieren, womit sie uns unser Menschsein zu kosten droht. Das industrielle Erbe eines Klimadesasters erfüllt uns mit Schrecken, Gewissensbissen und Angst. Vor welchem ungeahnten Erbe von Schädigungen und Gewissensbissen werden sich dann künftige Generationen sehen, wenn der Überwachungskapitalismus die beherrschende Form des Informationskapitalismus unserer Zeit werden sollte? Wenn Sie diese Zeilen lesen, wird die Reichweite dieser neuen Form bereits weiter zugenommen haben, schließlich machen immer mehr Unternehmen, Start-ups, App-Entwickler und Investoren unter dem Banner dieser plausibelsten aller Versionen des Informationskapitalismus mobil. Diese Mobilisierung und der Widerstand, den sie zeitigt, werden eines der wesentlichen Schlachtfelder im Kampf um die Möglichkeit einer menschlichen Zukunft an der neuen Grenze der Macht definieren.


Dieser Text ist ein Auszug aus Shoshana Zuboff’s neuem Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ und wurde mit freundlicher Genehmigung des Campus Verlags veröffentlicht. Die deutschsprachige Ausgabe ist ab dem 4. Oktober erhältlich. Die amerikanische Originalausgabe „The Age of Surveillance Capitalism. The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power“ wird am 15. Januar 2019 bei PublicAffairs erscheinen.


Shoshana Zuboff was one of the first women to hold a chair at Harvard Business School in 1981. In 1988 she wrote the best-selling and long-selling book “In the Age of the Smart Machine”, in which, as a social scientist and economist, she predicted technological developments and the resulting control mechanisms. Her term “Dark Google” in 2014 marked the debate about the digital future and big data. The magazine strategy+business describes her as one of the eleven most original economic thinkers in the world.

This post represents the view of the author and does not necessarily represent the view of the institute itself. For more information about the topics of these articles and associated research projects, please contact info@hiig.de.

Shoshana Zuboff

Explore Research issue in focus

Du siehst eine Tastatur auf der eine Taste rot gefärbt ist und auf der „Control“ steht. Eine bildliche Metapher für die Regulierung von digitalen Plattformen im Internet und Data Governance. You see a keyboard on which one key is coloured red and says "Control". A figurative metaphor for the regulation of digital platforms on the internet and data governance.

Data governance

We develop robust data governance frameworks and models to provide practical solutions for good data governance policies.

Sign up for HIIG's Monthly Digest

and receive our latest blog articles.

Further articles

The photo shows a hand holding a digital map on a smartphone, symbolising GIS technology and Geodata.

Navigating the Urban Maze: GIS technology and the blurring boundaries between digital and physical infrastructure

The progression of GIS technology and Geodata questions if digital maps should be regarded as physical public infrastructure.

Toolkit "Making Sense of the Future" lays on the table, representing digital futures in the classroom.

Making Sense of the Future: New brainteasers for digital futures in the classroom

Explore “Making Sense of the Future”, an open educational resource combining futures studies and creative exploration to reimagine our digital futures.

Generic visualizations generated by the author using Stable Diffusion AI representing futuristic visions for futures studies

Honey, we need to talk about the future

Can futures studies challenge the status quo beyond academia and approach public dialogue as an imaginative space for collective endeavours?