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13 Dezember 2012

Einwilligung unter Druck und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (1)

von Julian Staben

Welchen Wert hat die datenschutzrechtliche Einwilligung in Zukunft?

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stellt seit des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts1 einen der wichtigsten Gehalte des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. Einfachgesetzlich wird die informationelle Selbstbestimmung des Bürgers vor allem durch die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder geschützt. Versteht man informationelle Selbstbestimmung als “die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen”2, so erscheint es unausweichlich, dass die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten grundsätzlich an die Einwilligung der betroffenen Person anknüpft3. Entsprechendes ist in § 4 Abs. 1, § 4a Abs. 1 BDSG und den jeweiligen Datenschutzgesetzen der Länder normiert.

Das Ideal einer vorherigen, freiwilligen und informierten, also aufgeklärten, Zustimmung zur Verarbeitung personenbezogener Daten hat jedoch seit der Verbreitung automatisierter Datenverarbeitungsprozesse, aber vor allem im Zeitalter der ständigen Datenerhebung immer mehr Risse bekommen. Diese Erkenntnis ist dabei zwar alles andere als neu, aber die Entwicklung hat sich im Rahmen der Verbreitung von Online-Kommunikationsangeboten stark beschleunigt. Dies passierte zunächst durch die Nutzung von E-Mail-Providern (z.B. Gmail, Yahoo, Hotmail, Gmx) und Foren, heute aber vor allem auch durch alle Formen von sozialen Netzwerken (Facebook, Google+) und Blogging-Plattformen (Blogger, Twitter). Dabei stehen gegenwärtig nicht nur die Fragen nach dem anwendbaren Recht und seiner effektiven Durchsetzung im Raum. Auch das Ideal einer wohlinformierten Einwilligung sowie unsere Vorstellung von der Freiwilligkeit der Zustimmung in diesem Bereich stehen praktisch unter besonderem Druck.

Informierte Zustimmung

Das Problem ist nicht neu, dass sich Teilnehmer des modernen Rechtsverkehrs mit Vertragsbedingungen konfrontiert sehen, deren Aufwand ihrer inhaltlichen Kenntnisnahme in keinem Verhältnis zur Bedeutung des Vertragsschlusses steht. Die eventuell eintretende (Selbst-)Gefährdung durch den Vertrag betrifft jedoch hier nicht in erster Linie das Vermögen, sondern das Allgemeine Persönlichkeitsrecht. Sie entzieht sich in weiten Teilen präzisen, zwingenden Rechts und soll zwar grundsätzlich durch Widerruf einfach rückgängig zu machen sein, was aber in der Praxis umso schwerer zu nachzuvollziehen ist. Dies gilt insbesondere beim Betreten von Online-Kommunikationsräumen. Allein der Kern der Datenschutzbestimmungen von Facebook beispielsweise ist mit über 9000 Wörtern mehr als neun mal so lang wie dieser Blogbeitrag. Mit dieser Flut an Informationen wird sich kaum ein Nutzer bei seiner Anmeldung befassen. Die wenigsten Nutzer wissen also wirklich, mit welcher Verwendung ihrer Daten sie sich einverstanden erklärt haben.4 Das Ideal einer tatsächlich informierten Zustimmung landet hier unsanft auf dem Boden der Rechtstatsachen. Rechtliche Grenzen für den Inhalt der Datenschutzbestimmungen ergeben sich zwar aus Datenschutzgesetzen und dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Während erstere jedoch sehr allgemein gehalten sind und sehr viele Möglichkeiten der Datenverarbeitung zulassen, ist das AGB-Recht nicht für den Schutz der informationellen Selbstbestimmung zugeschnitten. Dies alles zieht bedenkliche Folgen nach sich: eine mangelhafte und durch Hörensagen geprägte Information auf Nutzerseite und daraus resultierend Unsicherheiten im Online-Verhalten. Denn entgegen dem grundrechtlichen und einfachgesetzlichen Ideal ist eben doch (fast) allen Nutzern unklar, wofür welche personenbezogenen Daten verwendet werden können. Hiergegen mag man einwenden, dass es in den Händen der mündigen Nutzer selbst liegt, sich über die Nutzung ihrer Daten bei ihrer Anmeldung genau zu informieren. Wer zu bequem sei, die Datenschutzbestimmungen zu lesen, der solle vielleicht von der Nutzung des jeweiligen Online-Dienstes ganz absehen. Indes geht dieses Argument aus verschiedenen Gründen an der gesellschaftlichen Realität vorbei: Zunächst sind die Datenschutzbestimmungen häufig sehr allgemein gehalten und die genaue Verwendung der Daten erschließt sich einem neuen Nutzer, der mit den Funktionen einer bestimmten Kommunikationsplattform noch nicht vertraut ist, nicht ohne Weiteres. Das heißt, selbst wenn der Nutzer die Datenschutzbestimmungen zur Kenntnis nehmen würde, könnte er kaum realistisch einschätzen, was mit seinen Daten im Einzelnen passiert. Des Weiteren ergibt sich aus dem Schutz des Vertragspartners bei Geschäften des täglichen Lebens durch Verbraucherschutz- und AGB-Recht eine gewisse Schutzerwartung, welche sich auf die Nutzung von Online-Kommunikationsplattformen erstrecken kann. Wer als Verbraucher daran gewöhnt ist, bei fast jeder Warenbestellung umfassende Mängelgewährleistungsrechte und ein Widerrufsrecht zu haben, der wird häufig davon ausgehen, auch online nicht so genau hinschauen zu müssen.

Freiwillige Zustimmung

Das größte Problem ergibt sich aber schließlich bei Betrachtung der möglichen Handlungsalternative selbst: Die Nutzung von Online-Kommunikationsplattformen entzieht sich zusehends der freiwilligen5 Entscheidung des einzelnen Bürgers und könnte für eine zeitgemäße Grundrechtsausübung unverzichtbar werden.

Auch im Internet findet inzwischen die Ausübung fast aller Grundrechte, insbesondere aber der Kommunikationsgrundrechte, statt.6 Manchmal ersetzt dabei die Online-Kommunikation die Offline-Kommunikation, in vielen Fällen tritt sie aber als Ergänzung zu letzterer auf. So finden beispielsweise Vorbereitungen und Aufrufe zu Versammlungen online Verbreitung und werden inhaltlich diskutiert und weitergeleitet. In den letzten Jahren fanden einige Kommunikationsplattformen besondere Verbreitung und erarbeiteten sich eine Stellung mit marktbeherrschendem Charakter.7 Im Rahmen der Kommunikationsgrundrechte trifft also die Grundrechtsverwirklichung im Internet auf wachsende Mono- bzw. Oligopolstrukturen zugunsten von Unternehmen, die selbst naturgemäß – anders als der Staat – nicht grundrechtsgebunden sind.8 Nun ließe sich einwenden, dass man sich online auch außerhalb der großen Kommunikationsplattformen äußern kann. Kommunikationsgrundrechte sind wesensgemäß aber darauf angewiesen, dass das jeweilige Anliegen des Bürgers auch die realistische Chance hat, durch mögliche Unterstützer wahrgenommen zu werden. Die Erfolgsaussichten erscheinen außerhalb der verbreiteten Kommunikationsplattformen aber ungleich geringer. Wenn die Chance zu klein wird, bei seiner kommunikativen Grundrechtsausübung online wahrgenommen zu werden, so werden Kommunikationsangebote bestimmter Plattform für den einzelnen Nutzer alternativlos. Von der Idee der Freiwilligkeit bleibt praktisch nicht mehr viel übrig, wenn der Bürger vor der Wahl steht, seine Daten einer unübersichtlichen Verwendung preiszugeben oder auf eine effektive Ausübung seiner Grundrechte zu verzichten.

Eine Einwilligung ist grundsätzlich dann nicht freiwillig, wenn sie unter Einfluss von Zwang oder Täuschung abgegeben wird.9 Im engeren Sinne frei von diesen Einflüssen und damit wirksam bleibt die Einwilligung wohl auch in nächster Zeit. Es würde jedoch einer Verkennung gesellschaftlicher und grundrechtlicher Entwicklungen bedeuten, wenn man glaubte, die Einwilligung allein stelle in ihrer heutigen Form die Sicherung der informationellen Selbstbestimmung im Internet und damit auch des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in alle Zukunft sicher.

Die Fortsetzung dieses Blogeintrags setzt sich mit denkbaren praktischen und rechtlichen Lösungsansätzen der dargelegten Probleme vor dem Hintergrund einer etwaigen grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates auseinander.

3 Zur Einwilligung und der neuen EU Datenschutz-Grundverordnung vgl. den Blogeintrag vom 22.10.2012.

4 So z.B. auch Buchner, DuD 2010, 39, 42.

5 Zur Freiwilligkeit offline Menzel, DuD 2008, 400, 406, Schapper/Dauer, RDV 1987, 169, 170; Schmidt, JZ 1974, 241, 247; Gedanken auch zur Freiwilligkeit im Hinblick auf die Teilnahme an sozialen Netzwerken Buchner, DuD 2010, 39, 41.

6 Daneben wird natürlich insbesondere von “digital natives” auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht online verwirklicht. Der Fokus soll hier jedoch auf den Kommunikationsgrundrechten liegen.

7 Die Konzentration auf wenige Kommunikationsplattformen lässt zwar wiederum die detaillierte Kenntnisnahme der Datenschutzbestimmungen zumutbarer erscheinen (s.o.), untergräbt aber im Ergebnis zusehends die Freiwilligkeit der Einwilligung.

8 Dies führt wiederum zu verbundenen eigenen Problemen, deren Behandlung den Rahmen hier sprengen würde.

9 Gola/Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz Kommentar, 11. Auflage 2012, § 4a, Rn. 19 ff.

 

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Martin Pleiss

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