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Der Werkzeugkasten "Making Sense of the Future" liegt auf dem Tisch und symbolisiert digitale Zukünfte im Unterricht.
25 April 2024

Making Sense of the Future: Neue Denksportaufgaben für digitale Zukünfte im Unterricht

Wie sehen Schüler*innen unsere digitale Gesellschaft in 20 Jahren? Was ist ihnen dabei wichtig und was übersehen sie vielleicht? Welche Visionen haben sie für eine gerechte und nachhaltige Digitalisierung? Zukunftskompetenz (Futures Literacy) ist eine Fähigkeit, die genau wie Lesen und Schreiben erlernt und geübt werden muss. Der neue Lern-Werkzeugkasten mit dem Titel ‘Making Sense of the Future’ hilft Lehrkräften, dies mit Gedankenspielen im Unterricht zu vermitteln.

Die Digitalisierung ist überall: Wir lassen uns von Apps im Alltag helfen, bestellen online und teilen im Internet unsere persönlichen Daten. Unsere Kommunikation ist Dank sozialer Medien wie Instagram oder TikTok heute eine völlig andere. Und auch unsere politische Meinung steht unter ihrem Einfluss. Hinzu kommt, dass neue technologische Innovationen, wie Künstliche Intelligenz, nicht nur die Wirtschaft grundlegend verändern, sondern auch die Art und Weise prägen, wie wir künftig miteinander leben und arbeiten werden.

Die Zukunft ist ein Verb, kein Substantiv!

Mit Methoden der Zukunftsforschung trainieren die Schüler*innen ihre Zukunftskompetenz in verschiedenen Übungseinheiten. Zukunftskompetenz meint hier insbesondere die Fähigkeit, sich vielfältige Zukunftsszenarien vorzustellen und diese als Linse zu nutzen, um die eigene Gegenwart aus ganz neuen Perspektiven zu betrachten. Schüler*innen lernen so, die unübersichtliche digitale Welt zu ordnen, motiviert umzudenken und das Paradigma der Ungewissheit anzugehen. Dabei sprechen wir bewusst von Zukünften im Plural, da zahlreiche wünschenswerte Zukünfte denkbar sind. 

Die Übungen des Lern-Werkzeugkasten adressieren unter anderem folgende Fragen: Wie wollen wir in einer digitalen Welt zusammenleben? Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf mich selbst? Welche Rolle spielen Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit oder Gemeinwohl in der digitalen Welt? Was müssen wir in unserem Leben ändern, um bestimmte Zukünfte zu vermeiden? Welche effektiven Lösungswege, neuen Ideen und gesellschaftlichen Werte brauchen wir, um gemeinsam eine bessere Zukunft zu gestalten?

Aktiver Austausch im Unterricht

Die kostenlosen und online frei verfügbaren Materialien des Lern-Werkzeugkastens wurden vom Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung entwickelt. Auf die Durchführung eines Workshops mit Schüler*innen der Mittelstufe einer integrierten Sekundarschule in Berlin-Neukölln folgte in Zusammenarbeit mit einer Lehrkraft eine Überarbeitung und Didaktisierung der Materialien speziell für die Anwendung im Unterricht. Dabei kann aus sechs verschiedenen Übungen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden gewählt werden, welche strukturierte Aufgaben mit Zielformulierungen, inhaltlich angeleitete Gruppendiskussionen und lebhafte Illustrationen beinhalten. 

Zentral ist, dass es dabei nicht um Wissensvermittlung und Reproduktion durch die Schüler*innen, sondern um eigenständiges, kreatives Denken geht, welches mithilfe von Operatoren der Anforderungsbereiche II und III angeregt werden soll.  Je nach Aufgabe können die Übungen alleine oder in Gruppen mit Stift, Papier und Internetzugang durchgeführt werden. Als Hilfestellung für Lehrkräfte halten die ausdruckbaren Übungskarten zugängliche Leitfragen und Beispiele parat, die auch ohne Vorwissen eine Bearbeitung in 30 bis 90 Minuten ermöglichen. Dabei können Sie die Aufgaben abhängig vom Fach, Kontext und Alter modifizieren und weiterentwickeln, um sie auf Ihre Bedarfe und Motivation anzupassen. Eine fachliche Anbindung im gesellschaftswissenschaftlichen oder auch informatisch-technischen Unterricht ist denkbar – da jedoch kein Vorwissen der Lehrkraft vorausgesetzt wird, ist auch der Einsatz während einer Klassenleitungsstunde oder eines Projekttages denkbar.

Umdeuten statt Umbauen 

Ohnehin überfüllte Lehrpläne erleichtern die Integration neuer Methoden und Inhalte kaum und bieten eine klare Hürde in der Zukunftsorientierung des Lernstoffs. Oft bleibt es dem persönlichen Engagement der Lehrkraft überlassen, neben Wissensvermittlung auch die Zukunftskompetenz der Lernenden zu schulen, welche sie dann fächerübergreifend anwenden können. Der Werkzeugkasten soll Lehrkräften verschiedenster Fachbereiche dabei die Vorbereitung erleichtern – sei es in naheliegenden Fächern wie beispielsweise Politik und Wirtschaft oder in der Mathematik, wo Statistik helfen kann, die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz zu verstehen. Ebenso gibt es beispielsweise Anwendungsmöglichkeiten in der Geschichte, wo die Bedeutung von Demokratie, Datenschutz und Gleichberechtigung in den Kontext digitalen Zusammenlebens gerückt werden kann. Somit sind die Übungen neben einer spannenden Kreativaufgabe für den Unterricht auch ein praktischer Test für die zumeist noch ausbleibende und wichtige Beschäftigung mit Inhalten zur Digitalisierung in der Schule. 

Beispiel: Den eigenen Standpunkt zeigen

Eine geeignete Übung für den Unterricht heißt Antworten im Raum. Die Übung unterstützt Schüler*innen konkret dabei, sich in die Rolle digitaler Visionär*innen zu versetzen und einen eigenen Standpunkt zu entwickeln. Hier versetzen sich die Schüler*innen in das Jahr 2040 und finden heraus, ob sie eine optimistische oder pessimistische Einstellung gegenüber digitalen Zukünften haben. Eine räumliche Aufstellung hilft, einen Überblick zu gewinnen und trägt zugleich zur Aktivierung der Schüler*innen bei. 

Die Achse 1 beschreibt die Pole “Die Digitalisierung macht die Welt zu einem besseren Ort” und “Die Digitalisierung macht die Welt schlechter.” Die Achse 2 steht für “Ich blicke optimistisch auf meine digitale Zukunft” und “Ich blicke pessimistisch auf meine digitale Zukunft”. 

Schritt 1: Meine Erwartungen an die digitale Gesellschaft

Zu Beginn versammeln sich alle Schüler*innen in der Mitte des Raums. Dann überlegt sich jede Person einen bestimmten Aspekt unserer Gesellschaft, der sich ihrer Meinung nach durch die Digitalisierung zukünftig verbessern oder verschlechtern wird (Achse 1). Das kann ein breiter gesellschaftlicher Teilbereich (z.B. Umwelt, Arbeitswelt oder demokratische Prozesse wie Wahlen) oder auch eine bestimmte Technologie sein (z.B. TikTok, digitaler Unterricht oder das Metaverse). Danach positionieren sie sich alle in angeleiteten Phasen auf der Achse 1 im Klassenzimmer. Je stärker ihr Gefühl ist, desto weiter gehen sie in eine der beiden Richtung nach vorn. Positioniert man sich beispielsweise zum Thema digitale Wahlen, ist eine optimistische Sicht durch geringere physische Teilnahmehürden, aber auch eine pessimistische Sicht durch Probleme mit Manipulation oder mangelnde technische Ausstattung denkbar.  

Schritt 2: Was kann ich in Zukunft verändern?  

Im nächsten Schritt bewegen sich die Schüler*innen auf der Achse 2, um ihre eigene Handlungsfähigkeit in der digitalen Welt einzuschätzen. Im Zentrum steht die Frage, ob die Digitalisierung ihnen persönlich die Möglichkeit gibt, gesellschaftliche Prozesse auf der Welt zu beeinflussen oder ob ihre Handlungsmöglichkeiten durch sie beschränkt werden.  

Schritt 3: Die Position der anderen verstehen 

Nachdem sich alle durch dieses dynamische Stimmungsbarometer ein Bild voneinander gemacht haben, treten die Schüler*innen kollektiv in einen gemeinsamen Austausch. Sie erklären sich gegenseitig, über welche positiven oder negativen Aspekte der Digitalisierung sie beim Positionieren auf den Achsen nachgedacht haben. Das Ziel ist zu verstehen,

warum die anderen dort stehen, wo sie stehen. Leitende Fragen sind: Was stimmt meine Mitschüler*innen optimistisch/pessimistisch? Fühlen sie sich gut auf Zukünfte vorbereitet – oder wünschen sie sich mehr Informationen? Warum glauben sie, dass ihre Handlungsfähigkeit in der digitalen Welt gering/hoch ist? Was brauchen sie, damit sich ihre Meinung und Position auf der Achse ändert?

Schritt 4: Eine neue Perspektive einnehmen 

Zum Schluss tauschen jeweils zwei Schüler*innen den Platz miteinander. Unter vier Augen tauschen sie sich über die von ihnen vorgestellten Beispiele aus. Dabei diskutieren sie, ob sie in der Lage sind, die Position der anderen Person einzunehmen oder diese zu beeinflussen. 

Welche weiteren Denksportaufgaben gibt es? 

Auch die anderen fünf Übungen von Making Sense of the Future bieten wichtige Anreize, (digitalen) Zukünften sorgenfrei zu begegnen und mit cleveren Impulsen unsere Vorstellung einer offenen Gesellschaft mitzugestalten.

  • Von Weak Signals zu Megatrends: Diese Übung dient der Reflektion der eigenen Antizipation der Zukunft. Sie trainiert die Fähigkeit, mögliche Triebkräfte des Wandels zu erfassen und zu interpretieren.
  • Nachrichten aus 2040: In dieser Übung geht es um kreatives Schreiben und spekulatives Denken. Als Journalist:in schlüpft man in das Jahr 2040 und schreibt einen Artikel über sein eigenes utopisches Zukunftsszenario.
  • Die Sprache der Zukunft: Diese Übung lädt dazu ein, die versteckten Annahmen und Konzepte in unserer Sprache der digitalen Zukunft aufzudecken.
  • Dimensionen des Wandels: Die Übung hilft, eigene Ideen und eigenes Verhalten als Teil einer gemeinsamen Zukunft zu verstehen. Es werden 3 Maßnahmen entwickelt, die zu einer wünschenswerten Veränderung in der Zukunft führen könnten
  • Kritische Utopien: Diese Übung folgt dem Prinzip der Zukunftswerkstatt. Ausgehend von weiteren Open Educational Resources wir an konkreten Ideen für digitale Zukünfte gearbeitet.

Für Schüler*innen ab der Sek-II empfiehlt es sich, mit den Einstiegsübungen Antworten im Raum, Von Weak Signals zu Megatrends und Nachrichten aus 2040 zu arbeiten. Sie dauern zwischen 30 und 90 Minuten und benötigen außer den Ausdrucken kein zusätzliches Material. Für die Anwendung in der Mittelstufe bieten wir didaktisiertes Material an. 

Alle Übungen von Making Sense of the Future finden Sie als Open Educational Resource völlig kostenfrei unter http://www.hiig.de/zukunft-oer.

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Frederik Efferenn

Leitung Wissenschaftskommunikation

Hanna-Sophie Bollmann

Ehem. Studentische Mitarbeiterin: Ethik der Digitalisierung und NoC

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