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Cover der Studie: Big Data Nudging

Digitale Verhaltensbeeinflussung ist mit Gefahren verbunden

13 September 2018

Die Widerspruchslösung bei der Organspende und die Einstellungen bei Apps sind aktuelle Beispiele dafür, wie das Verhalten beeinflusst und BürgerInnen in eine bestimmte Richtung geschubst werden – das sogenannte Nudging. Eine Studie zeigt die Konsequenzen dieser Beeinflussung und schlägt ein öffentliches Nudge-Register für mehr Transparenz vor.

Berlin, 13. September 2018 – Ein Klick in der App und alle persönlichen Daten sind freigegeben. Will man sie allerdings richtig schützen, braucht es meist viel mehr Aufwand. Das ist ein bekanntes Instrument der digitalen Verhaltensbeeinflussung. In einer aktuellen Studie des Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG), die im Auftrag des Projektes ABIDA (Assessing Big Data) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung entstanden ist, zeigen die Forscher, dass App-Designer und Plattformbetreiber deutlich mehr Möglichkeiten der Beeinflussung durch große Datenmengen haben. Mit dem Einsatz solcher Beeinflussungsinstrumente, schlussfolgert die Studie, seien erhebliche Gefahren für individuelle sowie gesellschaftliche Werte verbunden: Unter anderem berühre Nudging die Würde und Autonomie des Individuums und untergrabe die Solidargemeinschaft durch Individualisierung. Es drohe eine verstärkte Diskriminierung bereits benachteiligter Gruppen wie Kinder oder Menschen mit Behinderung.

Die Autoren der Studie Max von Grafenstein, Julian Hölzel, Florian Irgmaier und Jörg Pohle untersuchten zahlreiche Apps und Technologien, die Big-Data-gestützte Instrumente zum Nudging (engl. Anstupsen) einsetzen. Ein Beispiel dafür sind die oft genutzten Default-Einstellungen bei Apps. So ist es zwar einfach, bei Fragen nach Datenschutzeinstellungen zuzustimmen, oft ist jedoch die Ablehnung mit viel größerem Aufwand durch mehrmaliges Klicken verbunden. Klarer Fall für die Forscher: Nein-Sager werden hier potenziell benachteiligt ohne es zu wissen. Hinzu kommt, dass die derzeitige Technologie erlaubt, die Einstellungen auf Situation und Person automatisch zuzuschneiden. Beispielsweise nutzt Nudgr, ein durch lernende Algorithmen unterstütztes Instrument, persönliche Kundendaten wie die Bewegung der Maus über das Browserfenster, um KundInnen möglichst lange auf den Webseiten von Online-Shops zu halten. So zeigt sich, dass die  Verhaltensbeeinflussung durch große Datenmengen neu skaliert: „Das analytische Potenzial von Online-Verhaltensbeeinflussung ist gewachsen sowie auch die Möglichkeit, Nudging stärker zu individualisieren und zu automatisieren“, erklärt Dr. Jörg Pohle, Ko-Autor der Studie und Forschungsprogrammleiter am HIIG.

Darum ist eine der Forderungen der Studie, den Plattformbetreibern und App-Entwicklern genauer auf die Finger zu schauen. Julian Hölzel, Ko-Autor der Studie erklärt: „Unsere Auseinandersetzung mit zahlreichen Beeinflussungsinstrumenten hat gezeigt, dass es mehr Publizität braucht. Beispielsweise empfehlen wir ein Nudge-Register.” Ein solches Nudge-Register sollte öffentlich im Internet einsehbar sein, um die momentan eingesetzten Instrumente zur Verhaltensbeeinflussung sowie der Art und Weise, in der diese operieren, offenzulegen. Des Weiteren empfiehlt die Studie, dass ein Nudge-Sachverständigenrat bereichsübergreifende Expertise für eine informierte Debatte entwickelt und Kinder und Jugendliche Angebote erhalten, die sie über Online-Verhaltensbeeinflussung informieren und aufklären. Von der Umsetzung dieser Empfehlungen erhoffen sich die Forscher eine umfassendere Auseinandersetzung der Politik und Gesellschaft mit den Konsequenzen des Big-Data-Nudging.

Die Studie ist online frei verfügbar. Sie wurde als Teil des ABIDA-Projektes (Assessing Big Data) vom Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) umgesetzt. Das ABIDA-Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Weitere Informationen: Link zum Projekt und zur Studie.

Pressekontakt: Florian Lüdtke | Tel. +49 30 200 760 82 | presse@hiig.de 

Über das HIIG

Das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) erforscht die Entwicklung des Internets aus einer gesellschaftlichen Perspektive, um die damit einhergehende Digitalisierung aller Lebensbereiche besser zu verstehen. Als erstes Forschungsinstitut in Deutschland mit einem Fokus auf Internet und Gesellschaft hat das HIIG ein Verständnis erarbeitet, das die Einbettung digitaler Innovationen in gesellschaftliche Prozesse betont. Basierend auf dieser transdisziplinären Expertise und als Teil des Global Network of Interdisciplinary Internet & Society Research Centers will das HIIG eine europäische Antwort auf den digitalen Strukturwandel entwickeln.

Das Forschungsprojekt Big Data & Nudging – Regulierung durch Big Data und Verhaltenswissenschaften bringt sozial- und wirtschaftswissenschaftliche, informatische und rechtswissenschaftliche Perspektiven zusammen, um zu untersuchen, wie einzelne Instrumente Big-Data-gestützter Verhaltensbeeinflussung kategorial erfasst werden können, welche individuellen und gesellschaftlichen Wirkungen ihr Einsatz zeitigt, sowie ob und inwiefern Big-Data-gestützte Verhaltensbeeinflussung legal und legitim eingesetzt werden kann.

Das HIIG wurde 2011 von der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), der Universität der Künste Berlin (UdK) und vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) gegründet mit dem Hans-Bredow-Institut Hamburg als integrierter Kooperationspartner. Die ForschungsdirektorInnen des Instituts sind Prof. Dr. Jeanette Hofmann, Prof. Dr. Dr. h.c. Ingolf Pernice, Prof. Dr. Björn Scheuermann, Prof. Dr. Dr. Thomas Schildhauer und Prof. Dr. Wolfgang Schulz.

Über ABIDA

Das interdisziplinäre Projekt ABIDA (Assessing Big Data), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, lotet gesellschaftliche Chancen und Risiken der Erzeugung, Verknüpfung und Auswertung großer Datenmengen aus und entwirft Handlungsoptionen für Politik, Forschung und Entwicklung.

Florian Lüdtke

Ehem. Koordinator Wissenschaftskommunikation

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