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IMR
17 September 2013

Datenschutz als Standort- und Wettbewerbsvorteil – nach Snowden erst recht

Datenschutz ist aus verfassungsrechtlicher Perspektive in aller erster Linie Persönlichkeitsschutz und als solcher eng mit der in Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierten Menschenwürde verknüpft. Doch kann Datenschutz an zweiter Stelle noch mehr sein? Wie in allen anderen Bereichen, kann der zugrundeliegende rechtliche Rahmen ein Kriterium für globale Investitionsentscheidungen sein. Weiterhin mag die Gewährleistung eines hohen Datenschutzniveaus durch Unternehmen in den Augen von Usern ein Vorteil und gegenüber anderen Firmen- bzw. Werbekunden ein Nachteil sein. Vor dem Hintergrund der Überwachungsenthüllungen dieses Jahres stellen sich die Fragen neu, ob und inwieweit gelebter Datenschutz einen Wettbewerbsvorteil und ein klares, ausgewogenes Datenschutzrecht einen Standortvorteil darstellen kann.

Datenschutzrecht als Standortvorteil

Dabei ist es zunächst wichtig, beide Fragen voneinander zu trennen, unterscheiden sich doch die jeweiligen Akteure und die zugrundeliegenden Beurteilungen in wesentlichen Punkten voneinander. Standortvorteile umfassen all diejenigen örtlichen Parameter, die für ein Unternehmen begünstigend wirken können und die daher – die entsprechende Mobilität vorausgesetzt – auch bei der Standortwahl eine Rolle spielen können. Dazu zählt auch der für das jeweilige Geschäftsmodell relevante Rechtsrahmen. Das Datenschutzrecht ist grundsätzlich für jedes Unternehmen von potentieller Relevanz, gewinnt aber besonders für Unternehmen an Wichtigkeit, die ihre Waren online verkaufen oder Dienstleistungen über das Internet erbringen. Je stärker das Kerngeschäftsmodell dabei auf die Sammlung, Auswertung und weitere Nutzung personenbezogener Daten (z.B. zu Werbezwecken) ausgerichtet ist, desto zentraler wird auch die Frage nach den Grenzen des Datenschutzrechts für das Unternehmen als ganzes. Nimmt man zwei mögliche Unternehmensstandorte wie z.B. die USA (insbesondere Kalifornien) und Europa (insbesondere Deutschland) heraus, scheint dabei auf den ersten Blick Kalifornien mit seinen erfolgreichen, aber datenhungrigen Großunternehmen – allen voran Facebook und Google – die Nase vorn zu haben. Warum gibt es kaum digitale deutsche Großunternehmen? Warum hat StudiVZ gegen Facebook den Kürzeren gezogen?

Dabei gibt es natürlich wesentlich mehr und vor allem wichtigere Standortfaktoren als das Datenschutzrecht, die die Entstehung von digitalen Großunternehmen im Silicon Valley erklären können.1 Und auch bei der Niederlage von StudiVZ gegen Facebook wird das deutsche Datenschutzrecht selten als Schuldiger ausgemacht.2 Ein Argument gegen Datenschutz als Standortvorteil wird also aus dieser Beobachtung jedenfalls noch nicht. Dies bestätigt sich auch, wenn man einen Blick auf die florierende deutsche digitale Start-Up-Szene wirft. Hier und da hört man zwar Klagen von Unternehmern über das strenge deutsche Datenschutzrecht.3 Aber hält es Unternehmen wirklich davon ab, innovativ zu sein und sich am Markt zu behaupten?

Vielmehr könnte ein hohes Datenschutzniveau mit klaren Regeln sich als Standortvorteil herausstellen, wenn es um den Gewinn von Kunden geht (dazu sogleich). Natürlich bleibt es Unternehmen daneben unbenommen über die gesetzlichen Anforderungen an den Datenschutz hinauszugehen. Doch eine gemeinsame gesetzliche Untergrenze – in Form der Datenschutzgrundverordnung – stellt sicher, dass bei europäischen bzw. deutschen Unternehmen ein Mindestmaß an Datenschutz garantiert ist. Das sehen inzwischen auch viele Unternehmen so und werben daher mit “Datenschutz made in Germany”4 oder ähnlichen Slogans. Auch die Unternehmen sehen also in diesem Fall den deutschen Rechtsrahmen als Standortvorteil oder haben ihn zumindest für ihre Zwecke schätzen und nutzen gelernt.

Strenger Datenschutz als Wettbewerbsvorteil

Darüber hinaus kann die Einhaltung hoher Datenschutzstandards auch ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen darstellen, ihnen also auf dem jeweils einschlägigen Markt gegenüber Anderen einen Vorsprung verschaffen. Dieser kann sich bei globalen Märkten zum einen aus dem hohen gesetzlichen Datenschutzniveau des einschlägigen Rechtsraumes ergeben und durch das eigene Darüberhinausgehen des Unternehmens erweitert werden. Das weiche US-amerikanische Datenschutzrecht und die Enthüllung des umfassenden Zugriffs der Geheimdienste auf die bei US-Unternehmen gespeicherten personenbezogenen Daten durch Edward Snowden stellen sich dabei besonders als Nachteil für die US-amerikanische Internetwirtschaft dar. Zunächst geraten europäische Unternehmen unter Druck, nicht mehr auf die Sicherheit US-amerikanischer Angebote zu vertrauen.5 Auch wenn eine Zusammenarbeit mit den US-Behörden im Einzelfall vielleicht gar nicht unbedingt stattfindet, stehen US-Unternehmen unter einer Art Generalverdacht. Daneben werden trotz des sogenannten “privacy paradox”6 inzwischen europäische Cloud- und Kommunikationsdienste verstärkt nachgefragt – und dabei nach Snowden insbesondere solche, die ein Plus an Datenschutz versprechen. Die Zahl der Kunden bei dem kleinen deutschen Emailanbieter Posteo z.B. hat seit der NSA-Affäre um 30% zugenommen.7 Auch der Schweizer instant messaging Dienst Threema, der in puncto Nutzbarkeit dem Marktführer WhatsApp kaum nachsteht, katapultierte in den iTunes-Charts auf die vorderen Ränge.8 Bei der sichereren Dropbox-Alternative Wuala stiegen die Nutzerzahlen in Folge der Enthüllungen maßgeblich und auch die Anfrage von Firmenkunden häufen sich dort.9 Hier fürchten europäische Unternehmen um ihre Geschäftsgeheimnisse und wollen ihre Kundendaten sicher unterbringen. Das haben auch die US-amerikanischen Clouddienste bemerkt. So wird mit einem Verlust zwischen 35 und 180 Milliarden US-Dollar in den nächsten drei Jahren gerechnet.10 Die besonderen Datenschutz versprechenden US-amerikanischen Emaildienste von Lavabit und Silent Circle sahen sich infolge der US-amerikanischen Rechtslage und wohl auch durch Anfragen von US-Behörden sogar derart in ihrem Geschäftsmodell und ihren Prinzipien bedroht, dass sie es vorzogen, ihre Dienste gleich ganz einzustellen.11

Auch wenn deutsche Internet-Großkonzerne weiter auf sich warten lassen, kann gerade im Windschatten des deutschen und europäischen Datenschutzrechts ein digitaler Mittelstand gedeihen. Dieser Mittelstand mag mit seinen privatsphäreschonenden und mitunter speziellen Produkten sicherlich noch nicht in einer Liga mit großen US-amerikanischen Anbietern spielen, auch weil seine Dienste nicht immer auf besonders preisbewusste Endnutzer zielen. Ob er sich langfristig gegen die globale Konkurrenz behaupten kann, wird sich zeigen. Solange aber Ausmaß und Form US-amerikanischer Überwachung weiter unklar bleiben, ist europäischen Internetunternehmen aber zumindest ein unantastbares Feld garantiert.

Schließlich muss sich Europa auch fragen, ob man so manches auf die rigorose Ausschlachtung von personenbezogenen Daten basierende Geschäftsmodell unbedingt beheimaten will. Denn Datenschutz als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist mehr als bloß “digitale Hygiene”, sondern ein Teil deutscher und auch europäischer Verfassungsidentität.

Referenzen

Dieser Beitrag ist Teil der wöchentlichen Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institutes für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Artikel und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Julian Staben, Dr.

Former Associate Doctoral Researcher: Internet and Media Regulation

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