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10 März 2017

Das Dilemma um die Anonymität des Darknets

Drogen, gefälschte Pässe, Waffen und Kinderpornographie – Das Darknet stellen sich die meisten vor wie eine dunkle Straßenecke, wo niemand weiß, was genau vor sich geht. Und klar, man fragt sich, warum im Dunklen surfen, wenn nicht für zwielichtige Geschäfte? HIIG-Gastforscherin Meropi zeigt wie es im Darknet wirklich aussieht und warum es ein wichtiger Ort der Meinungsfreiheit geworden ist.

Dem Darknet haftet etwas Mystisches, Kriminelles und Bedrohliches an. Bereits das Präfix dark weckt ebensolche Assoziationen. Diese werden durch einschlägige Berichte über Waffen- und Drogenhandel im Darknet nur verstärkt. Eine breite Öffentlichkeit erreichte die Existenz des Darknets, als bekannt wurde, dass der Amokschütze von München seine Waffe in einem Shop im Darknet erworben hatte. Auch die punktuelle Berichterstattung über Drogenshops im Darknet, allen voran Silk Road, bekräftigten vorerst die These, dass es sich beim Darknet per se um einen Ort des Bösen handle, der überwacht, reguliert und reglementiert werden solle und müsse.

In Abgrenzung zu dieser These will mein Beitrag zweierlei. Zum einen will ich erläutern, was sich hinter dem Begriff Darknet verbirgt. Indem der Begriff geschärft wird, möchte ich zu einer Entmystifizierung des Darknets beitragen. Zum anderen möchte ich ein grundsätzliches Dilemma erörtern, das mit dem Darknet als Ort für kriminalisierte Aktivitäten und gleichzeitig freie Meinungsäußerung verbunden ist. Einen Umgang mit diesem (unlösbaren) Widerspruch zwischen Macht und Freiheit zu finden, soll meiner Ansicht nach Teil eines breiten gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses sein. Genau zu diesem Prozess will ich mit dem Blog-Post einen Beitrag leisten.

Was ist unter der Oberfläche des Internets?

Das Internet besteht aus dem Surface Web und dem Deep Web, wobei das Darknet ein kleiner Teil des Deep Webs ist. Verkürzt gesagt ist das Darknet ein Teil des Internets, in dem UserInnen nahezu komplett anonym kommunizieren können. Während Inhalte, die von konventionellen Suchmaschinen erfasst werden können, als Surface Web bezeichnet werden, handelt es sich beim Deep Web um Websiten im Internet, die von eben diesen Suchmaschinen nicht abgerufen und indiziert werden können (1). Das Deep Web beinhaltet Datenbanken oder Content, der erst nach einem Login bzw. einer Bezahlung zugänglich ist, erfordern eine Passwort-Eingabe oder Mitgliedschafts-Registrierung. Bildhaft beschrieben, handelt es sich beim Surface Web um die sichtbare Spitze eines Eisberges, der unterhalb des Wassers als Deep Web eine vielfache Größe dessen ausmacht. Obwohl es aufgrund des Designs annähernd unmöglich ist die Größe des Deep Webs zu quantifizieren, wird angenommen, dass es exponentiell wächst (2). Das Darknet als Bestandteil des Deep Webs, beinhaltet hidden internet services, also versteckte Dienste, die erst mit spezieller Software wie TOR (The Onion Router) oder I2P (Invisible Internet Project) aufgerufen werden können. TOR basiert auf einem Netzwerk an Servern, wobei Anfragen verschlüsselt über drei zufällig gewählte Server geleitet werden und damit die Kommunikation innerhalb des Netzwerks so gut wie nicht zurückverfolgt werden kann. Identität und Standort der weltweit etwa 2 Millionen NutzerInnen (siehe Abbildung 1) wird somit im Gegensatz zum Surface Web verschleiert. Der Begriff Darknet sagst also nichts über den rechtlichen Status der Inhalte aus, sondern lediglich darüber, wie diese Dienste aufgerufen werden können.

Abb. 1: Geschätzte Anzahl der UserInnen von TOR zwischen 2012 und 2017 (The Tor Project); der rasante Anstieg der TOR-Nutzung 2013 wird einem Botnet zugerechnet

Was findet man im Darknet?

Entgegen der zu Beginn skizzierten verbreiteten Auffassung zeigen zwei explorative Studien, dass weder Waffen noch Drogen an vorderster Stelle im Darknet zu finden sind. Eine britische Untersuchung an 13.600 Seiten im TOR-Netzwerk errechnete, dass 52 Prozent der Inhalte nach UK- oder US-Recht als legal einzustufen sind (3). Von allen ausgewerteten Seiten sind mit 29% Filesharing-Dienste an erster Stelle zu finden, gefolgt von 28% geleakte Daten und 12% Finanzbetrug. Lediglich auf 4% der untersuchten Webseiten wird mit Drogen gehandelt und nur 0,3% haben Bezug zu Waffen. Zu einem ähnlichen Schluss kommen Forscher vom King’s College, die 2.723 Websites im TOR-Netzwerk ausgewertet haben. 43 Prozent der Inhalte von diesen Seiten ordneten sie als rechtmäßig ein (4). Von den restlichen als illegal klassifizierten Angeboten entfallen 15% auf Drogen, 12% auf Finanzgeschäfte, 7% auf andere illegale Inhalte und 1,5% auf Waffen. Die Detailergebnisse beider Studien sind leider nicht direkt vergleichbar, da sich erstere auf sämtliche untersuchten TOR-Seiten beziehen, während die zweite lediglich die als illegal eingeordneten Inhalte genauer auflistet. Beide Untersuchungen verdeutlichen trotz der relativ kleinen Stichprobengröße das Verhältnis von legalen und illegalen Angeboten im Darknet und den untergeordneten Stellenwert von Drogen und Waffen. Abbildungen 2 und 3 veranschaulichen darüber hinaus die Datenströme des TOR-Netzwerks.

Abb. 2: Visualisierung von globalen Datenströmen des TOR-Netzwerks (TorFlow by Uncharted, https://torflow.uncharted.software/)

Das Dilemma von Macht und digitaler Freiheit

Diese empirischen Befunde zum Darknet führen mich auch zum zweiten Anliegen dieses Beitrages. Neben dem anonymen Tauschhandel von legalen und illegalen Waren und Dienstleistungen, wozu etwa Drogen, Waffen, Falschgeld, Kreditkartendaten, gefälschte Ausweise, Malware und pädophile Inhalte zählen, ermöglichen die versteckten Dienste des Darknets auch eine sichere Kommunikation zur freien Meinungsäußerung. Der besondere Wert des Darknets liegt darin, dass es ein hohes Maß an Sicherheit und Privatsphäre gewährleistet. Und das selbst nach den Snowden-Enthüllungen um grenzüberschreitende Massenüberwachungspraktiken und Datenschutzverletzungen. Auch staatliche Zensur von repressiven Regierungen kann mit dem Darknet umgangen werden. Gleichzeitig kann das TOR-Netzwerk jedoch auch von Terroristen zur Kommunikation genutzt werden. Das Darknet wird aber auch von MenschenrechtsaktivistInnen, JournalistInnen und DissidentInnen genutzt, um auf Korruption, Unterdrückung und andere Missstände hinzuweisen. Während des Arabischen Frühlings etwa nutzen AktivistInnen das TOR-Netzwerk um sich auszutauschen, zu informieren und vor allem, um dabei anonym zu bleiben. Durch die Nutzung des Darknets können Menschen ihre Meinung frei äußern, ohne ihre Identität und Standort preiszugeben.

Das Darknet kann als ein virtuelles Feld verstanden werden, welches sich bislang der totalen staatlichen wie privaten Kontrolle entzieht. Ein Umstand, der, nebenbei gesagt, an die frühe Phase des Surface Webs in den 1990ern erinnert. Doch genau in der beschränkten Kontrollmöglichkeit zeigt sich das Dilemma des Darknets. Durch die Gewährleistung von Anonymität liefert es die technologische Voraussetzung für die Wahrung von Freiheitsrechten und kriminellen Aktivitäten, die rechtlichen und vielfach moralischen Normen sowie gesellschaftlichen Werten zuwiderlaufen. Im Darknet geht Macht (5), hier verstanden als Überwachungspraktiken, Rückverfolgbarkeit, algorithmische Regulierung und Einschränkungen der Systemarchitektur, Hand in Hand mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung, ein Grundrecht und wichtiger Bestandteil von Demokratie. Das Dilemma dieser Gleichzeitigkeit liegt darin, dass ein Mehr an Kontrollmacht mit einem Weniger an Meinungsfreiheit einhergeht und vice versa.

Abb.3: Visualisierung von Datenströmen des TOR-Netzwerks mit Fokus auf Europa (TorFlow by Uncharted, https://torflow.uncharted.software/)

Ein Trade-off zwischen Kontrolle und freier Meinungsäußerung

Mehr Überwachung und Kontrolle kriminalisierter Aktivitäten und eine damit einhergehende vermeintliche Erhöhung der (subjektiven) Sicherheit bedeutet gleichzeitig weniger freie Meinungsäußerung und Privatsphäre. Beispielsweise zeigt sich das an der zunehmenden Einschränkung der Meinungsfreiheit im Surface und Deep Web (6). Wie in Abbildung 4 ersichtlich ist, werden Themen wie etwa Kritik an staatlichen Autoritäten, Korruption, andauernde Konflikte und Terrorismus, politische Opposition, aber auch Satire in 52 Staaten zensiert. Dies liegt darin begründet, dass Normen und Werte keine unveränderlichen sozialen Tatsachen, sondern jeweils in einem gesellschaftlichen Kontext verankert sind, der in Bezug auf Ort und Zeit variiert (7). Das Beispiel der Drogenmärkte im Darknet verdeutlicht, dass die Binarität von Gut und Böse in diesem Fall nicht aufrechterhalten werden kann. Obwohl auf diesen Märkten legale und illegale Drogen global und ohne Beschränkung zugänglich sind, bieten sie den KonsumentInnen erstmals die Möglichkeit sich vorab über die Qualitäten und Wirkungsweisen der Substanzen zu informieren. Zudem berichten KundInnen von weniger Gewalterfahrungen als beim Kauf von Freunden, Bekannten oder auf der Straße (8). Auf diese Weise tragen Drogenmärkte im Darknet – wenn auch nicht rechtens – dazu bei, Risiken und gesundheitliche Folgeschäden des Drogenkonsums zu reduzieren (9). Diese Komplexität gilt es besonders zu bedenken, wenn nach aktuellen Ereignisse der Ruf nach einem Verbot von Anonymisierungsdiensten laut wird. Es liegt also weniger an den Darknet-Technologien oder den technischen Implementierungsmöglichkeiten, als vielmehr an der Frage, nach welchen Wertvorstellungen und Normen wir diese wie und wofür verwenden wollen.

Schlussendlich geht es auch um das Ausverhandeln der Frage, wieviel Freiheit wir bereit sind für mehr (subjektive) Sicherheit aufzugeben. Diese Fragen bewerten Menschen, Gruppierungen und Institutionen je nach Interessenlage anders. Genau darin liegt aber meiner Ansicht nach die (politische) Herausforderung, dass vielfältige Interessengruppen und Interessenverbände am gesellschaftlichen Aushandlungsprozess teilhaben und somit mitentscheiden, wohin sich die demokratischen Gesellschaften entwickeln.

Abb. 4: Themen und Häufigkeit von staatlich zensierten Inhalten im Surface und Deep Web (Freedom on the Net 2016 – Report by Freedom House)

tl;dr: Das Darknet ist mehr als ein Ort für kriminalisierte Aktivitäten, es ermöglicht all jenen anonym zu kommunizieren, die marginalisierte Positionen vertreten, darunter MenschenrechtsaktivistInnen, DissidentInnen und WhistleblowerInnen. Sie zeigen, dass unsere Gesellschaft sich dem Dilemma zwischen Freiheit und Kontrollmacht stellen muss.

Dr Meropi Tzanetakis is a political scientist, lecturer at the University of Vienna and Senior Researcher at the Vienna Centre for Societal Security. Meropi holds a doctorate in political science from the University of Vienna. Her research interests include illicit drug markets, digital technology, the darknet, virtual currencies, the sociology of markets, political economy, and organised crime. Meropi has recently completed a cooperative two-year project on how the phenomenon of darknet drug markets impacts upon sellers and customers, funded by the Austrian Federal Ministry for Transport, Innovation and Technology.

Literatur:

(1) Bergman, Michael K. 2001. White Paper: The Deep Web: Surfacing Hidden Value. Journal of Electronic Publishing, 7(1), DOI: http://dx.doi.org/10.3998/3336451.0007.104

(2) Weimann, Gabriel 2016. Going Dark: Terrorism on the Dark Web. Studies in Conflict & Terrorism, 39(3), 195–206.

(3) Intelliag 2016. Deeplight: shining a light on the Dark Web. Online unter http://deeplight.intelliagg.com/deeplight.pdf

(4) Moore, Daniel & Rid, Thomas 2016. Cryptopolitik and the Darknet. Survival, 57(1), 7–38.

(5) Gehl, Robert W. 2016. Power/Freedom on the Dark Web: A Digital Ethnography of the Dark Web Social Network. New Media and Society, 18(7) 1219–1235.

(6) Freedom House 2016. Freedom on the Net 2016. Online unter https://freedomhouse.org/sites/default/files/FOTN_2016_BOOKLET_FINAL.pdf

(7) Henecka, Hans Peter 2015. Grundkurs Soziologie, 10. Aufl., Konstanz: UVK.

(8) Barratt, Monica, Ferris, Jason & Winstock, Adam 2016. Safer scoring? Cryptomarkets, social supply and drug market violence. International Journal of Drug Policy, 35, 24–31.

(9) Tzanetakis, Meropi & von Laufenberg, Roger 2016. Harm Reduction durch anonyme Drogenmärkte und Diskussionsforen im Internet?, akzept e.V. Bundesverband. 3. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2016, Lengerich: Pabst Science Publishers, 189–194.

Photo: flickr.com CC BY-NC-SA 2.0

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Meropi Tzanetakis, Dr.

Ehemalige Gastforscherin: Internet Policy and Governance

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