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14 April 2014

Wie Love Steaks fast die deutsche Filmbranche veränderte

Wenn das Branchen-Magazin “The Hollywood Reporter” über den Film einer deutschen Filmhochschule berichtet lohnt es sich aufzuhorchen, besonders, wenn das einzelne Filmwerk im nächsten Satz einer neuen Bewegung zugeordnet wird: “the first film of what could potentially become a new filmmaking movement – called Fogma, with a clear wink to Lars von Trier and Thomas Vinterberg’s Dogme 95 manifesto that kicked of a renaissance in Danish cinema – Love Steaks combines improvisation in scenes with a planned overall narrative structure.”[1] Love Steaks unter der Regie von Jakob Lass, entstand an der Hochschule für Film und Fernsehen “Konrad Wolf”, handelt von einer etwas ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen zwei Angestellten eines Hotels, die sich immer wieder gegen Regeln auflehnen, räumte auf verschiedenen Festivals mehrere Preise ab und ist für den deutschen Filmpreis nominiert.

Doch nicht nur diese Ankündigung und die Tatsache, dass der Film derzeit bundesweit in den Kinos zu sehen ist, sondern auch die Hintergründe der Kinoauswertung, machen diesen Film zu einem willkommenen Anlass für eine Betrachtung der Distribution von Filmen in der digitalen Umgebung. In der geschützten Umgebung der staatlichen Filmhochschulen Deutschlands entsteht eine große Zahl an Filmen, von denen nur wenige das Licht einer größeren Öffentlichkeit erblicken. Mit Hilfe von finanzieller Unterstützung von Filmförderanstalten gelingt einigen der Weg auf die große Leinwand und somit eine Aufmerksamkeit über das interessierte Branchenpublikum hinaus. Diese Angewiesenheit auf öffentliche Förderung ist kein Alleinstellungsmerkmal von Studentenfilmen, sondern ein Kennzeichen der gesamten deutschen Filmindustrie. Für das Jahr 2011 lässt sich feststellen, dass 40% der Gesamtherstellungskosten aller deutschen Filme durch Filmförderungsanstalten finanziert wurden (Goldhammer, Castendyk 2012, p. 109). Die rechtliche Grundlage für diese Förderung regelt das Filmfördergesetz (FFG), in welchem die Struktur aus mehreren Landesfilmförderungsanstalten und verschiedenen Förderinstitutionen aus Bundesebene geregelt ist.

In diesem Gesetz ist auch geregelt, dass geförderte Filme zuerst im Kino ausgewertet werden müssen, bevor sie nach einer festgelegten Sperrfrist im Fernsehen, auf DVD oder über video-on-demand-Dienste ausgewertet werden dürfen.
Da nun aber Love Steaks ohne eine solche öffentliche Förderung entstanden ist, konnten die Macher des Filmes Golo Schultz, Ines Schiller und Jakob Lass ein Konzept für eine gleichzeitige Auswertung in Kinos und im Internet entwickeln, Cine Stream genannt, um mehr Zuschauern den Konsum zu ermöglichen. So hätte der Film parallel zur Laufzeit im Kino über die Webseite desselben als Stream für einen Preis von sechs Euro angeboten werden sollen. Dieser Plan scheiterte jedoch, wie es der betreuende Professor Martin Hagemann auf den Punkt bringt, an den Widerständen des Branchenverbandes der Kinowirtschaft AG Kino. Als Grund nannte Hagemann die Angst vor Zuschauerverlusten an der Kinokasse und den damit einher gehenden Verlusten bei den Verzehrartikeln. “Wer streamt, kauft sein Popcorn woanders!”, wie er im Gespräch mit dem Autor berichtet. Die Besucherzahlen der Kinos in Deutschland sind in der Tat rückläufig. Gingen 1999 noch ca. 141 Millionen Menschen ins Kino, waren es im Jahr 2013 nur noch ca. 128 Millionen (FFA 2014), die Gründe dafür sind allerdings vielschichtig. Auch die Umsätze im DVD-Verleih und -Verkauf gehen merklich zurück von ca. 1.750 Mio Euro in 2004 auf 1.140 Mio Euro in 2013 (BVV, GFK 2013, p. 18). Gebremst wird diese Entwicklung durch das Geschäft mit Blue-Ray-Discs, das Wachstumssteigerungen erzielt.
Das größte Wachstumspotential aber ist auf dem video-on-demand-Markt zu verzeichnen. In der aktuellen Studie der Goldmedia Beratung wird dem VoD-Markt bis 2018 eine enorme Steigerung vorhergesagt und hier besonders dem Bereich der S-VoD, also Subscription-Modellen (Goldmedia 2014).

Diese Marktveränderungen sind nicht ganz neu und vor allem auf dem US-amerikanischen Markt deutlich weiter fortgeschritten. Hier sind beispielsweise S-VoD-Anbieter wesentlich weiter verbreitet, Netflix tritt im US-Markt als erfolgreicher Produzent mit preisgekrönten Serien wie House of Cards oder Lilyhammer auf und der Eintritt in den deutschen Markt wird noch für dieses Jahr vermutet. In einer Untersuchung hat Hennig-Thurau bereits vor einigen Jahren für den US-Markt festgestellt, dass die parallele Auswertung in Kino und VoD tatsächlich für die Kinoindustrie verheerende Wirkungen haben, für Studios und Verleiher aber vorteilhaft sein kann: “Our results suggest that recent industry speculation about simultaneous channel releases called a death threat by theater owners would indeed be devastating for movie theaters. However, such a change might be financially attractive  to movie studios and DVD-retailers if executed in the U.S. market, though externalities must be considered if the theater channel were to be irreparably damaged.” (Hennig-Thurau 2007, p. 79) Die Studios erhoffen sich steigende Umsätze bei gleich bleibenden Marketingkosten. Dass diese Prognose allerdings nicht eins zu eins auf den deutschen Markt übertragbar ist, liegt an anderen der Struktur der Märkte, sowie an den unterschiedlichen Auswertungspotentialen deutscher und amerikanischer Filme. Eine solche Entwicklung würde bedeuten, dass sich die Kinobetreiber in Deutschland neu aufstellen müssten, um sich den Veränderungen des Marktes anzupassen. Hagemann sieht enormes Potential in der Programmierung von Live-Events, Übertragungen von Opern, Premieren, Fußballspielen oder ähnlichem, was den Kinos eine besondere Bedeutung zukommen lassen würde, die der heimische Konsum nicht bieten kann, das Erlebnis in einer großen Gruppe auf einer großen Leinwand.

Der Hintergrund für die starren und exklusiven Auswertungsfenster bei Filmen, die mit Mitteln deutscher Filmförderung hergestellt wurden, sind natürlich die Umsätze, die sich so kaskadenförmig generieren lassen. Das Modell ist seit Jahrzehnten erprobt und hat sich bewährt. Mit der zunehmenden Verbreitung von Breitbandanschlüssen bietet sich immer mehr Haushalten die Möglichkeit Filme online zu konsumieren. Laut Branchenverband Bitkom sind 85% der deutschen Haushalte in 2013 mit einem Breitbandanschluss ausgestattet. Die Entstehung der exklusiven Auswertungsfenster erklärt Hennig-Thurau folgendermaßen: “Das heutige Distributionsmodell von Spielfilmen mit seinen Sperrfristen und passiven Konsumenten stammt aus den Achtzigerjahren. Erinnern wir uns: Es wurde damals entwickelt als Reaktion der Filmstudios auf das Aufkommen der Videokassette und der Videotheken – zum ersten Mal überhaupt durften damals Konsumenten einen Spielfilm mit nach Hause nehmen.” (Blickpunkt:Film 27+28/12, p. 18) Dass sich die Zeiten geändert haben, hat unter anderem auch die Europäische Kommission erkannt und im Jahr 2012 ein Förderprogramm für den sogenannten day-and-date-release, also die gleichzeitige Auswertung in Kino und als VoD, aufgelegt. Hier sind aber noch keine Zahlen verfügbar, so dass noch keine Aussagen über Erfolge und Misserfolge getroffen werden können.

Die britische Kinokette Curzon Cinemas macht vor, wie sich die Auswertung von Filmen traditionell im Kino und gleichzeitig als video-on-demand vereinen lässt. Genaue Zahlen sind zwar nicht bekannt und ohne eine Förderung durch das MEDIA-Programm der europäischen Union geht es auch hier nicht, aber dennoch zeigt diese Initiative, wie sich die Kinobranche den Marktveränderungen anpassen kann. Und mit dem Verleiher, der unter anderem Love Steaks ins Kino gebracht hat, beginnt sich derzeit eine Firma auf dem deutschen Markt zu etablieren, deren Hauptgeschäft die Musikindustrie ist, eine Branche, die diese Marktveränderungen bestens kennt und die Modelle entwickelt hat, um darauf zu reagieren.

 

Literatur


[1] http://www.hollywoodreporter.com/review/love-steaks-film-review-690636

Dieser Beitrag ist Teil der regelmäßig erscheinenden Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.

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Urs Kind, Dr.

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