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18 April 2014

Auf Facebookstreife: polizeiliche Maßnahmen in sozialen Netzwerken als mittelbare Grundrechtseingriffe?

Markus Oermann und Julian Staben | Anders als die technologisch ausgefeilten Überwachungsprogramme von ausländischen und inländischen Geheimdiensten stand die Erhebung von Informationen durch allgemeine deutsche Sicherheitsbehörden im Internet zuletzt nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Dabei sind sogenannte Facebookstreifen mittlerweile Teil des Polizeialltags, wie die Antworten auf parlamentarische Anfragen auf Bundes- wie auf Landesebene (HamSenatsDrS 20/7205) zeigen. Bei diesen durchstöbern die Beamten mit den eigenen oder mit Fake-Accounts die netzwerk-öffentlichen Postings für sie interessanter Personen. Gerade solche technisch schlichten Maßnahmen eignen sich dazu, über staatliche Informationsbeschaffung aus internetbasierter Kommunikation und ihre (verfassungs-)rechtlichen Bewertung noch einmal nachzudenken.

Bisher geht man davon aus, dass diese Maßnahmen keinen Grundrechtseingriff darstellen – zumindest solange keine besonderen Zugangshürden überwunden werden (z.B. Anmeldung in einer geschlossenen Gruppe unter einer Legende) oder gezielt Informationen zu einer Person gesammelt und die entsprechenden Daten gespeichert werden (vgl. Henrichs/Wilhelm 2010 und Bär 2011). Ein Eingriff wird hier deswegen abgelehnt, weil nicht ersichtlich sein soll, wie Entfaltungs- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten oder Handlungsfreiheiten des Bürgers durch solche zunächst eher ungezielten Maßnahmen auch nur mittelbar beeinträchtigt werden können. Doch hierbei stehenzubleiben, wäre zu kurz gesprungen.

Um die Frage, ob und wann Facebookstreifen eine Grundrechtsbeinträchtigung darstellen, die Eingriffsqualität erreicht, nun aber belastbar zu beantworten, ist zunächst zu klären, wie das, was man klassischerweise den ganzen Tag so auf Facebook so anstellt, verfassungsrechtlich zu bewerten ist. Was ist etwa das Klicken auf Facebooks „Gefällt mir“- oder Googles „+1“-Button eigentlich aus grundrechtlicher Sicht? – Es ist eine denkbar profane Form der Meinungsäußerung. Doch natürlich ist auch diese einfache Form durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt, ebenso wie es die Informationsbeschaffung des Bürgers aus sozialen Netzwerken ist. Selbstverständlich geht es aber noch um mehr: Wie der Name „soziale Netzwerke“ schon nahelegt, erweitern diese Dienste unsere alltägliche Lebenswirklichkeit dimensional und qualitativ vor allem im Hinblick darauf, wie wir soziale Beziehungen pflegen und knüpfen können (ausführlich dazu Jan Schmidt 2006). Nutzen wir sie dazu, so verwirklichen wir auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seinen verschiedenen Ausprägungen.

Es kommt also sowohl ein Eingriff in die angesprochenen kommunikationsbezogenen Handlungsfreiheiten als auch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, welches auch das subjektive Vorfeld von späteren Handlungen schützt, in Betracht. Ungeklärt ist dabei, ob hier mittelbar eine Beeinträchtigung bewirkt wird, die Eingriffsqualität erreichen kann.

Zu beachten ist zunächst bei den Handlungsfreiheiten, dass auch reines Beobachten – oder auch nur der entsprechende Verdacht beim Betroffenen – eventuell ausreicht, um bedeutende Auswirkungen auf das Verhalten von Personen nach sich zu ziehen. Kurz: Wer glaubt, beobachtet zu werden, verhält sich fast immer anders als jemand der sich unbeobachtet fühlt. Er wird regelmäßig versuchen, sein Verhalten an die rechtlichen und vor allem auch außerrechtlichen Normvorstellungen der Beobachter anzupassen. Hinzukommt, dass dabeipanoptische Effekte die Wirkung der Überwachung multiplizieren können: Ein Beobachter ist dadurch, dass er sich vor den Betroffenen verbirgt und die strukturellen Gegebenheiten der überwachten Räume oder Kontexte ausnutzt, in der Lage, eine besonders große Anzahl von ihnen in ihrem Verhalten zu beeinflussen und so unter Kontrolle zu halten.

Auch die Ergebnisse empirischer Forschung in diesem Bereich (Das/Kramer 2013,Sleeper/Balebako/u.a. 2013Studie von PEN America zur Überwachung durch die NSA 2013) stützen die Vermutungen, dass es durch beobachtende Online-Maßnahmen zu erheblichen Abschreckungseffekten, auch chilling effects genannt, kommen kann. Bestimmte Bevölkerungsgruppen können hiervon je nach Präventions- bzw Ermittlungsziel und -vorgehen besonders betroffen sein, wie z.B. Muslime (vgl. Sidhu 2007). Solche massenhaft wirksamen staatlichen Maßnahmen können sich also deutlich verheerender auf die Ausübung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht auswirken als so manches gezieltes Verbot im Einzelfall und sollten daher Anlass sein, die dogmatischen Anforderungen an den mittelbaren grundrechtlichen Eingriff entsprechend fein zu justieren. Der Unterschied zu bekannten mittelbaren Eingriffen besteht letztlich lediglich darin, dass durch die staatliche Maßnahme nicht erst auf die Ausübung der Handlungsfreiheit selbst, sondern schon auf die Willensentschließungsfreiheit eingewirkt wird und somit das – auch persönlichkeitsrechtlich geschützte – Vorfeld der konkreten Ausübung der kommunikationsbezogenen Handlungsfreiheiten betroffen ist. Der Eingriff wird so gewissermaßen subjektiv „gemittelt“. Dass allein deshalb aber eine Qualifikation solcher Maßnahmen als Eingriff nicht ausscheidet, ergibt ein Vergleich mit denFällen des Gefährderanschreibens.

Nimmt man auf dieser Grundlage einen Eingriff an, muss man dann auch nach den Rechtfertigungsanforderungen und -möglichkeiten zu fragen. Dabei können die beschriebenen Maßnahmen natürlich geeignete und vergleichsweise milde Mittel sein, um legitime präventive wie repressive Zwecke zu erreichen. Notwendig bleibt aber eine ausreichend bestimmte gesetzliche Eingriffsgrundlage, so dass letztlich auch ein effektiver Rechtschutz sichergestellt ist. Hierfür erweisen sich die Generalklauseln der Polizeigesetze (für die Datenerhebung z.B. § 26 POG-RLP§ 6 HmbPolDVG) und der StPO (§§ 160 Abs. 1161 Abs. 1 und 163 Abs. 1 S. 2), auf welche die Maßnahmen mangels passender besonderer Vorschriften gestützt werden müssten, jedoch als unzureichend: Zum einen begrenzen sie tatbestandlich kaum Anlass und Umfang der Maßnahmen und zum anderen sehen sie für heimliche Maßnahmen keine in diesen Fällen wirklich wirksamen Rechtschutzinstrumente vor, wie etwa die treuhänderische Wahrnehmung durch Datenschutzbeauftragte. Schließlich erfolgen die Online-Maßnahmen selbst zwangsläufig heimlich, also ohne dass der Betroffene sie wahrnehmen kann. Gerichtlicher Rechtschutz scheidet schon deshalb regelmäßig aus.

Die derzeitige Gesetzeslage weist somit schon für vergleichsweise schlichte informationsbezogenen Maßnahmen wie Online-Streifen Defizite auf.

Was können wir daraus nun für die Debatte um die im Laufe des Überwachungsskandals bekannt gewordenen Fällen der hochtechnisierten und umfassenden Überwachung durch ausländische Geheimdienste mitnehmen? Zunächst handeln im Gegensatz zu den simplen Facebookstreifen deutscher Sicherheitsbehörden hier Träger ausländischer Hoheitsgewalt. Grundrechtlicher Schutz für den Bürger kann daher nicht auf der Grundlage der Grundrechte als negativer Abwehrrechte erreicht werden. Schließlich kann ausländische Staatsgewalt durch deutsche Grundrechte kaum gebunden werden – von der Durchsetzung einer solchen Verpflichtung ganz abgesehen. Die unbestritten verpflichtete deutsche Staatsgewalt muss aber eventuell einer Schutzpflicht nachkommen. Dies bedeutet, auch gegen eine Bedrohung kommunikationsbezogener Freiheiten durch Dritte – etwa in Form außenpolitischer Initiativen – vorzugehen, um einen tatsächlichen Grundrechtschutz zu gewährleisten. Und in Anbetracht des oben Gesagten liegt es auf der Hand, dass zumindest die positiven Gewährleistungsgehalte nicht nur des Telekommunikationsgeheimnisses, des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und des IT-Grundrechts, sondern nicht zuletzt auch Meinungs- und Informationsfreiheit durch heimliche Überwachungsmaßnahmen von Drittstaaten betroffen sind (vgl. hierzu Hoffmann-Riem, JZ 2014, 53 ff.)Schließlich ist das Abschreckungspotenzial geheimdienstlicher Totalüberwachung noch um ein vielfaches größer als das polizeilicher Online-Streifen.

Dieser Beitrag von Markus Oermann und Julian Staben basiert z.T. auf dem Aufsatz der Autoren „Mittelbare Grundrechtseingriffe durch Abschreckung? : Zur grundrechtlichen Bewertung polizeilicher ,Online-Streifen’ und ,Online-Ermittlungen’ in sozialen Netzwerken”, Der Staat 2013, S. 630-661. | Der Beitrag unterliegt den Lizenzierungsbedingungen des Verfassungsblogs.

Dieser Beitrag ist Teil der regelmäßig erscheinenden Blogposts der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.

Julian Staben, Dr.

Ehem. Doktorand: Internet- und Medienregulierung

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