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Mauerschau
24 November 2014

Schutzinstrumente – für bzw. gegen Innovation

Für viele Startup-Gründer gehört es zu den drängendsten Fragen, wie sie ihre Innovationen schützen können. In der Law Clinic des Forschungsprojektes „Innovation und Entrepreneurship“ des Alexander von Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft rangiert das Thema unter den Top 3 der Rechtsfragen, die in den Clinic Sessions behandelt werden. Dabei geht es meistens darum, wie man die eigenen Innovationen schützen kann. Erst im Laufe des Gesprächs stellt sich dann heraus, dass das Recht auch die Innovationen der Anderen schützen könnte – und zwar vor einem selbst.

Die Zweischneidigkeit des Innovationsschutzes hatte ich selbst am Beispiel meines eigenen Startups MAUERSCHAU erlebt. In unserer MAUERSCHAU-App machen wir das historische Berlin über Augmented Reality und Originalfotos wieder sichtbar. Zudem führen Zeitzeugen die Nutzer im Rahmen ortsgebundener Interviews zu den Orten des historischen Geschehens. Eine Art digitaler Stadtführer. Diese Idee hielten wir zum Förderzeitpunkt im März letzten Jahres für so einzigartig, dass wir es kaum glauben konnten, als plötzlich immer mehr Startups und Projekte mit ähnlichen Ideen wie Pilze aus dem Boden schossen. Unsere erste Vermutung war, dass Leute aus diesen Unternehmen unser Konzept „gestohlen“ haben mussten. Immerhin hatten wir es an etliche Sponsoren und potentielle Kooperationspartner verteilt. Doch in Wahrheit liegen viele Ideen in der Luft. In den allermeisten Fällen setzen sie sich aus vorbekannten Elementen zusammen, die in neuen Kontexten immer wieder anders kombiniert werden. Hatten wir doch selbst die Idee zu unserer Mauerschau von vorbestehenden Werken und Ideen übertragen: Zunächst legte schon die Technik Augmented Reality die Bereitstellung von Fotos an den Orten ihrer Aufnahme nahe. Der Anwendungsfall Berlin drängte sich uns gerade auf, unterliegt dessen kulturelles Erbe doch wie keine andere Stadt dem Zeitenwandel. Zu der Idee, mit Zeitzeugen ortsgebundene Dokumentarfile zu drehen, inspirierte uns schließlich das Kunstwerk von Janett Cardiff und Georges Bures Miller „Alter Bahnhof Video Walk“, das die beiden Künstler auf der dOCUMENTA (13) ausgestellt hatten. Hätten diese beiden Künstler und erste Erfinder bzw. Anwender von Augmented Reality-Techniken unsere MAUERSCHAU rechtlich verhindern können?

Die Antwort auf diese Frage hängt von den Instrumenten ab, die das Recht zum Schutz von Innovationen zur Verfügung stellt. Als solche kommen insbesondere das Urheberrecht, das Patentrecht, der Leistungsschutz für Datenbanken, der Schutz für Geschäftsgeheimnisse und das Markenrecht in Betracht. All diese Rechte schützen jeweils unterschiedliche Aspekte geistigen Eigentums. Gemeinsam ist ihnen die gesetzgeberische Annahme, dass sie Anreize für Innovationen schaffen bzw. zumindest die Amortisierungsinteressen desjenigen schützen, der Zeit, Geld oder Kreativität investiert. So zielt das Urheberrecht darauf ab, persönliche geistige Schöpfungen gegen bestimmte Verwertungshandlungen wie etwa unbefugte Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Ausstellungen oder Verbreitungen zu schützen. Es garantiert dem Schöpfer ein rechtliches Verwertungsmonopol an seinem Werk. Ein solches Monopol birgt natürlich die Gefahr, dass Nachschöpfungen eingeschränkt werden. Wäre es zum Beispiel möglich, die Idee des Liebesromans zu schützen, könnte niemand mehr einen solchen schreiben, außer er hätte die entsprechende Genehmigung. Deshalb schützt das Urheberrecht – grob gesagt – nicht die Idee, sondern nur ihren Ausdruck in einer konkreten Form. Da Liebesromane in undenkbar vielen Ausformungen geschrieben werden können, wird durch diese Abgrenzung der Spielraum Nachschaffender grundsätzlich bewahrt. Natürlich ist die Grenze zwischen Idee und Ausdruck fließend und der Grund für viele rechtliche Auseinandersetzungen (mit dem urheberrechtlichen Werkbegriff hatte ich mich bereits im Rahmen meiner Masterarbeit „Copyright Protection of Formats in the European Single Market“ beschäftigt). Aber zurück zu unserem Fall der MAUERSCHAU. Hier könnten Janet Cardiff und Georges Bures Miller also nur die exakte Nachbildung ihres Kunstwerkes, nicht aber die Übertragung ihrer Idee auf unsere ortsgebundenen Zeitzeugengeschichten verhindern.

Anders als das Urheberrecht, schützt das Patentrecht auch Ideen, vorausgesetzt dass sie als Patente in einem Patentregister etwa des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) eingetragen sind. Für die Eintragung müssen alle inhaltlichen Schutzvoraussetzungen vorliegen. Als wichtigste Voraussetzung gilt, dass es sich um eine technische Erfindung handelt. Anders als im amerikanischem Patentrecht werden Computerprogramme nach europäischem Recht nur bedingt als technische Erfindungen angesehen. Nach einer Faustregel können Computerprogramme nur dann patentrechtlich geschützt werden, wenn sie eine Mechanik kontrollieren wie etwa das Anti-Blockier-System (ABS) ein Fahrwerk oder ein Betriebssystem den Computer mitsamt seiner Hardware. Technische Erfindungen müssen zudem gewerblich anwendbar und neu sein sowie auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Neuheit bedeutet, dass die Erfindung den Stand der Technik nicht einfach abbildet, sondern auf noch nicht bekannte Weise weiter entwickelt. Die Erfindung darf also noch nirgends veröffentlicht worden sein. Hierauf muss man besonders achten, wenn man seine Erfindung testet. Solche Tests sollten daher nur in einer geschlossenen und bestimmten Nutzergruppe erfolgen. Eine erfinderische Tätigkeit setzt schließlich voraus, dass sie sich vom Stand der Technik in ausreichendem Maße abhebt. Naheliegende Erfindungen werden daher nicht als Patent geschützt. Für sie kann aber ein Gebrauchsmusterschutz – die sogenannte kleine Schwester des Patents – in Frage kommen. In der Tat wurde genau diese Frage auch in unserem Fall der MAUERSCHAU relevant.

Wie die meisten Startups hatte ich nicht geprüft, ob jemand ein Patent auf Augmented Reality-Technik eingetragen hatte. Ich hätte als technischer Laie den Arbeitsaufwand kaum bewältigt, der für eine Überprüfung erforderlich geworden wäre. Ich vertraute aus der Not heraus darauf, dass ein Patentschutz für Software in Europa grundsätzlich nicht in Frage käme. Natürlich blieben Zweifel: Setzt eine Augmented Reality-Anwendung nicht doch die Kamera des iPhones und damit eine Mechanik in Betrieb? Bevor ich mir angesichts meiner juristischen Bias darüber den Kopf zerbrechen konnte, machte eine andere (Hiobs)Botschaft in Berliner Transmedia-Kreisen die Runde. Irgendjemand hatte beim DPMA ein Gebrauchsmuster für die Anwendung von Augmented Reality-Technik auf Museumsführungen eingetragen und schreckte jetzt mit Abmahnungen die Community auf. Wie gesagt, wir waren nicht die Einzigen, die zu dieser Zeit mit Augmented Reality experimentierten. Aber mit unserer MAUERSCHAU hatten wir uns gerade vorgenommen, das „größte virtuelle Museum der Welt!“ zu werden. Was mich bei dieser Nachricht auf die Palme brachte, war die von mir vermutete fehlende Berechtigung der Abmahnungen: Zwar lag es nahe, Augmented Reality-Anwendungen mangels erfinderischer Tätigkeit nicht als Patent sondern als Gebrauchsmuster zu schützen. Doch war ihre Anwendung für museale Dienste weltweit (!) betrachtet alles andere als neu. Der springende Punkt ist nun, dass das DPMA im Unterschied zu Patenten bei Gebrauchsmustern die inhaltlichen Schutzrechtsvoraussetzungen nicht prüft. Jeder kann also ein Gebrauchsmuster formell – auch wenn inhaltlich zum Beispiel keine Neuheit vorliegt – eintragen lassen. Die inhaltlichen Voraussetzungen werden dann erst im Falle einer juristischen Auseinandersetzung überprüft. Das aber wissen die meisten nicht – worauf der angebliche Inhaber des Schutzrechts offensichtlich baute. Er mahnte also diejenigen ab, die Augmented Reality-Technik für museale Dienste einsetzten, Lizenzgebühren an ihn zu zahlen – wohl in dem Kalkül, dass sich die meisten aus Angst ohnehin nicht auf einen Rechtsstreit einließen. Es muss dann doch jemanden gegeben haben, der sich wehrte. Denn bis heute habe ich von keinem unserer Wettbewerber erfahren, dass sie an diese Person Lizenzen gezahlt hätten. Diese Geschichte bleibt also eine besonders anschauliche Anekdote für die Zweischneidigkeit geistigen Eigentumsschutzes.

Neben dem Urheber- und Patentrecht gibt es wie bereits erwähnt noch weitere Schutzinstrumente. In der Law Clinic wird unter ihnen besonders der Leistungsschutz von Datenbanken immer wieder Thema. Dieser schützt gegen die vollständige Entnahme oder zumindest eines wesentlichen Teils einer – kurz gesagt – Sammlung von Daten, die systematisch angeordnet sind und deren Herstellung eine wesentliche Investition erfordert. Der Datenbankschutz kommt insbesondere gegen den Einsatz von Crawling-Techniken auf Webseiten in Betracht. Viele Startups wissen nicht, dass das Auslesen von Webseiten oder zumindest eines wesentlichen Teils davon gegen entsprechende Leistungsschutzrechte verstoßen kann. Stellt der Inhaber der Datenbank bzw. der Webseite keine technische Schnittstelle für die Erhebung der gewünschten Daten zur Verfügung oder ist es dem Startup nicht möglich, mit diesem eine entsprechende Individualvereinbarung zu schließen, darf es die Daten also nicht ohne Weiteres abgreifen. Immerhin richtet sich der Datenbankschutz nicht gegen jede Entnahme, sondern ist auf die Entnahme wesentlicher Teile beschränkt. Der Einsatz von Crawling-Techniken lässt sich daher in den meisten Fällen so ausgestalten, dass ein Rechtsverstoß vermieden werden kann.

Eher selten kommt der Schutz von Geschäftsgeheimnissen zur Anwendung. Er kommt höchstens in Betracht, wenn man wie in unserem Fall sein Konzept an potentielle Sponsoren und Geschäftspartner verschickt. Zumindest im Geschäft mit Fernsehformaten kommt es immer wieder vor, dass das Angebot zum Kauf des in dem Konzept enthaltenen Formats abgelehnt, dann aber von dem ablehnenden Unternehmen in Eigenregie umgesetzt wird. Hier kann der Nachweis, dass das Konzept angesichts eines von beiden Seiten bekundeten Geschäftsinteresses übersandt wurde und dem Empfänger auch tatsächlich zugegangen ist, eine wichtige Rolle beim Beweis der Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses dienen. Ausgeschlossen ist ein solcher Schutz natürlich, wenn das Konzept im Rahmen von Pitches bereits bekannt wurde und somit nicht mehr geheim ist. Auch eine Verschwiegenheitsvereinbarung hilft hier kaum weiter. Denn um sich nicht dem Risiko eines ungerechtfertigten Vorwurfs der Verletzung einer solchen Verschwiegenheitsverpflichtung auszusetzen, sind nur die wenigsten bereit, sie zu unterzeichnen. Auch hier kommt wieder der Gedanke zum Tragen, dass je allgemeiner die in dem Konzept zum Ausdruck gebrachte Idee ist, desto eingeschränkter der Unterzeichner wäre, in Zukunft eigene ähnliche Konzepte umzusetzen.

Damit kommen wir zu dem nach meiner Erfahrung am häufigsten angewandten Schutzinstrument, das ich hier als die „Kunst der Umsetzung“ bezeichnen möchte. Es ist ein nicht-rechtlicher Schutzmechanismus, den man mit Lock In-Effekten und dem rechtlichen Schutzinstrument des Markenschutzes flankieren kann. Der Ausgangspunkt ist hier das Phänomen, dass unter einer Vielzahl an Startups, die eine mehr oder weniger ähnliche Geschäftsidee verfolgen, nur wenige sie marktfähig und erfolgreich machen. Der Grund hierfür sind die dem Startup individuellen Fähigkeiten und zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Hat ein Startup einen Weg gefunden, die Geschäftsidee erfolgreich umzusetzen, so kann es den Erfolg seines Produkts oder seiner Dienstleistung über seine Marke kenntlich machen. Eintragungsfähig sind alle Zeichen (Worte, Bilder, Melodien und selbst Aromen), vorausgesetzt dass sie insbesondere unterscheidungskräftig, nicht irreführend und nicht rein beschreibend sind. Ein Beispiel für die zuletzt genannte  Voraussetzung ist, dass man sich als Hersteller von Taschentüchern nicht das Wort „Taschentücher“ als Marke schützen lassen kann. Auch dahinter steht wieder der entsprechende Gedanke, dass sonst kein anderer Hersteller von Taschentüchern sein Produkt bewerben könnte. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann die Marke in das Markenregister beim DPMA eingetragen werden. Wie beim Gebrauchsmuster erfolgt hier jedoch keine inhaltliche Prüfung, also ob die Marke bereits existierende Marken- oder Namensrechte verletzt. Da es für ein erfolgreiches Startup sehr nachteilig sein kann, seinen Namen aufgrund einer solchen Verletzung nachträglich zu ändern, sollte es zu Beginn über das Markenregister genau prüfen, ob es bereits identische oder sehr ähnliche Marken für die gleichen Waren- oder Dienstleistungsklassen gibt. Das gilt auch für seine Internet-Domain. Denn auch eine Domain kann zumindest sehr ähnlich mit einer bereits eingetragenen Fremdmarke sein und dadurch eine Verwechselungsgefahr über den Ursprung der angebotenen Produkte oder Dienstleistungen hervorrufen.

Die Beispiele sollten die Zweischneidigkeit der rechtlichen Schutzinstrumente für Innovationen deutlich machen. Der Gesetzgeber versucht, das Interesse des Einen am Schutz seiner Innovationen mit den Interessen anderer an einem möglichst großen Handlungsspielraum auszugleichen. Tatsächlich wird von vielen Startups die Wirkung rechtlicher Schutzinstrumente über- und die Wirkung faktischer Schutzmechanismen unterschätzt. In vielen Fällen der Law Clinic war das Markenrecht als flankierendes Schutzrecht das effektivste Instrument, um das Alleinstellungsmerkmal der Startups auf dem Markt zu wahren. Hier bietet das Recht freilich nur die Grundlage für viele Fragen eher marketingtechnischer Natur: Von der Markenarchitektur bis hin zur Internationalisierung. Ob diese Fragen berücksichtig beantwortet werden müssen, hängt vom Umsetzungserfolg des Startups ab. Das gilt auch für unsere MAUERSCHAU. Ob nun unsere Wettbewerber oder wir das große Rennen machen, hängt vor allem von den individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten – und damit letztlich von der Kreativität des Marktes ab.

Dieser Beitrag ist Teil der regelmäßig erscheinenden Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institutes für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.

Maximilian von Grafenstein, Prof. Dr.

Assoziierter Forscher, Co-Forschungsprogrammleiter

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